Mathematische Methoden und Computereinsatz
bottom:.0001pt\'>Einleitung und Motivation
bottom:.0001pt\'>Numerische Methoden sind ein unentbehrliches Hilfsmittel der Physik beim Versuch, die Vorgänge in der Natur zu erfassen, quantitativ zu beschreiben, zu ordnen und letztlich zu verstehen. Von Verständnis darf gesprochen werden, wenn es gelingt, eine Vielzahl von Phänomenen, die zunächst so erscheinen, als hätten sie nichts miteinander zu tun ( Beispiel: das Fallen eines Apfels und die Bewegung der Planeten) mit einer vergleichsweise einfachen Theorie bzw. einem System von Grundaxiomen zu erfassen und so genau zu beschreiben, dass Prognosen möglich werden. In der klassischen Physik und Astronomie (Himmelsmechanik) bemühte man sich z.B., die Bewegung von Körpern zu beschreiben, insbesondere die Positionen der Himmelskörper vorauszusagen; in der modernen Physik versucht man, für Felder, Materie und ihre Wechselwirkungen eine angemessene mathematische Beschreibung zu finden. Diese Anstrengungen führen, ausgehend von den Grundaxiomen, im positiven Fall zu einem mathematischen Modell, das ein System von physikalischen Objekten und die zwischen ihnen herrschenden Wechselwirkungen beschreibt und zu Prognosen führt, die mit Messungen verglichen werden können. Die Auswertung eines solchen mathematischen Modells ist jedoch infolge der mathematischen Struktur nicht immer in geschlossener Form möglich oder erfordert wegen der Grösse und Komplexität oft den Einsatz von Rechenhilfsmitteln. In beiden Fällen ist man auf numerische Näherungsverfahren angewiesen. Die Untersuchung dynamischer Systeme zeigt sogar, dass geschlossen integrierbare Probleme eine Rarität sind und die meisten Probleme der Physik, die auf Differentialgleichungen führen, der numerischen Integration bedürfen. Sinnvoll durchgeführte numerische Untersuchungen führen aber ebenfalls zu tiefen Erkenntnissen und etablieren nicht selten eine neue Klasse mathematischer Objekte, z.B. Fraktale. Als besonderes Gebiet innerhalb der mathematischen Physik, das in enger Berührung mit den numerischen Methoden steht, seien die Entwicklung effizienter Methoden genannt, z.B. schnell konvergenter Reihen oder Kettenbruchentwicklungen, zur Produktion von Tabellen oder Auswertung spezieller Funktionen. Viele der speziellen Funktionen mit oft mehreren Parametern sind exakte Lösungen der Differentialgleichungen der theoretischen Physik. Oft lassen sich nach geeigneten Transformationen die Lösungen physikalischer oder technischer Fragestellungen mit Hilfe spezieller Funktionen formulieren.
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bottom:.0001pt\'>Historisches
bottom:.0001pt\'>Bereits in antiker Zeit haben astronomische Fragestellungen zur Entwicklung von numerischen Methoden geführt. Im 1. Jahrhundert v. Chr. erweiterten griechische Astronomen die aus Babylon stammenden Tafeln für Kreissehnen. Diese Tafeln geben für einen Kreis mit einem festgelegten Radius die Länge der Sehnen an, die einer Bogenfolge (Winkelfolge) gegenüberliegen. Dabei nahmen diese Bögen um einen festen Betrag zu. Die Tafeln sind den modernen Sinustafeln ebenbürtig, und ihre Erfindung kennzeichnet die Anfänge der Trigonometrie. In den ersten Exemplaren dieser Tafeln - denjenigen von Hipparch um 150 v.Chr. - wuchsen die Bögen in -Schritten von bis an. Bis zur Zeit des in Ägypten geborenen Naturwissenschaftlers Ptolemäus (2.Jh.v.Chr.) war die Genauigkeit der Griechen in numerischen Verfahren weit fortgeschritten. Sein Hauptwerk »Almagest« enthält u. a. eine Tafel von Kreissehnen in -Schritten und ist auf etwa fünf Dezimalstellen genau. In der Zwischenzeit wurden Methoden zur Lösung von Problemen entwickelt, bei denen ebene Dreiecke eine Rolle spielten. Um die Längen bestimmter Bögen auf einer Kugel zu ermitteln, wurde ein nach Menelaos von Alexandria benannter Satz entwickelt. Diese Fortschritte ermöglichten den griechischen Astronomen, die Probleme sphärischer Astronomie zu lösen und ein astronomisches System zu entwickeln.
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bottom:.0001pt\'>Numerik und Computer
bottom:.0001pt\'>Sieht man einmal vom Abakus, einem der ältesten bekannten Rechengeräte, mit dem sich arithmetische Rechnungen (Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division) durchführen lassen und der bereits um 1100 v.Chr. in China bekannt und in der Antike von den Römern benutzt wurde, ab, so ist die Entwicklung numerischer Methoden eng verknüpft mit der Entwicklung programmierbarer Rechenautomaten. Deren Anfänge und damit im Prinzip auch die Ursprünge moderner Computer reichen bis zu den mechanischen Rechnern von Pascal und Leibniz im 17.Jh. zurück. Vor allem die Entwicklungen der Computertechnologie der achtziger Jahre brachte in einigen Gebieten der numerischen Mathematik enorme Fortschritte mit positiven Konsequenzen für die Physik, insbesondere die theoretische Physik, z.B. auf dem Gebiet der Differentialgleichungen; seitdem sind die Entwicklung und der Einsatz numerischer Methoden eng verknüpft mit der Rolle, die der Computer in der Physik spielt. Innerhalb der Physik etablierte sich die computational physics als neue Disziplin. Mit zunehmender Speicherkapazität, Rechenleistung oder gänzlich neuen Rechnerarchitekturen (Vektorrechner, Parallelrechner, Rechnercluster, Mehrprozessormaschinen) steigen die Anwendungsmöglichkeiten, aber auch die Phantasie der theoretischen Physiker und der Rechenbedarf der angewandten Disziplinen verlangen höhere Rechenleistung. Probleme, die bisher nur in ein- oder zwei-dimensionaler Geometrie numerisch bearbeitet werden konnten, werden nun in dreidimensionaler räumlicher Geometrie untersucht; Vielkörperprobleme im Bereich der kondensierten Materie (Festkörper, Flüssigkeiten) lassen sich immer realitätsnäher untersuchen. Turbulenzrechnungen in der Hydrodynamik sind mit einem wachsendem räumlichen Auflösungsvermögen möglich. Himmelsmechanische Rechnungen lassen die Berücksichtigung von immer grösseren Teilchenzahlen oder Störtermen zu; das Ende ist noch nicht in Sicht. Zur Zeit wird spekuliert, dass in etwa 10 Jahren Biocomputer zur Verfügung stehen, die gegenüber heutigen PCs um einen Faktor 1011 schneller sind.
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bottom:.0001pt\'>Impulse für die Numerik aus der Physik
bottom:.0001pt\'>Lassen sich schon die Ursprünge vieler mathematischer Disziplinen auf Fragestellungen aus der Physik zurückführen, z.B. die Entwicklung der Differential- und Integralrechnung durch Newtons Mechanik, so gilt dies erst recht für die Konstruktion numerischer Verfahren, z.B. die Newton-Iteration, das Newton-Verfahren, die regula falsi oder numerische Integrationsverfahren. Die Liste der numerischen Methoden, die sich aus Fragestellungen der Physik entwickelten und die nun fester Bestandteil der numerischen Mathematik sind, ist lang (siehe Tabelle).
bottom:.0001pt\'>Viele numerische Methoden wurden von Physikern oder in Kooperation mit Physikern entwickelt und fanden nach einer Veredlungsphase (algorithmische Untersuchung, Sicherung der Konvergenzeigenschaften etc.) durch angewandte Mathematiker Eingang in die Standardwerke der numerischen Mathematik. Hierzu zählen das von dem deutschen Mathematiker und Astrophysiker D.C.T. Runge und dem Mathematiker Kutta konstruierte Runge-Kutta-Verfahren zur Integration gewöhnlicher Differentialgleichungssysteme, das Monte-Carlo-Verfahren im Manhattan-Projekt, das von dem russischen Gasdynamiker und Mathematiker S.K. Godunow entwickelte Godunow-Verfahren zur Lösung der Eulerschen Gleichungen der Gasdynamik oder das bereits in den frühen siebziger Jahren von Astrophysikern bei Berechnungen des Sternaufbaus konstruierte Mehrzielverfahren zur Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen mit Randwerten. Inzwischen ein Klassiker, der im Schrank so manchen Physikers seinen Platz gefunden hat, ist das von Press et al. veröffentlichte Werk »Numerical Recipes«; die Mehrzahl der Autoren sind oder waren in astrophysikalische Problemstellungen involviert. Als ein besonderes numerisches Verfahren sei das 1953 von Metropolis und Mitarbeitern konstruierte und im Journal of Chemical Physics veröffentlichte Simulated Annealing genannt; dieses heuristische Verfahren, das in der diskreten Mathematik und globalen Optimierung Anwendung findet, ahmt das thermodynamische Verhalten einer kristallisierenden Flüssigkeit oder das langsame Abkühlen eines Metalls nach und bestimmt so das Minimum eines Minimierungsproblems, wobei es im Gegensatz zu vielen anderen Algorithmen ein lokales Minimum verlassen kann, um möglicherweise zu einem besseren zu gelangen.
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bottom:.0001pt\'>Numerische Physik und Number-Crunching
bottom:.0001pt\'>Selbst eine nur sehr grobe Liste der in der Physik verwendeten numerischen Methoden bzw. ihre Anwendung auf verschiedene Problemfelder ist lang: Approximation und Ausgleichsrechnung, Eigenwertprobleme, Fourier-Transformationen, Differentialgleichungen, Integralgleichungen, Integration von Funktionen, Interpolation und Extrapolation, Lösung linearer und nichtlinearer Gleichungssysteme, Monte-Carlo-Methoden, Padé-Approximation, Reihenentwicklungen, Sortieralgorithmen, spezielle Funktionen, Statistische Verfahren, Wavelets, Zufallszahlen. Weniger bekannt, aber dennoch sehr bedeutsam, sind Konvergenzbeschleunigungsverfahren oder numerische Techniken zum Umgang mit divergenten Reihen. Da numerische Methoden zur Lösung von Differentialgleichungssystemen nach Diskretisierung algebraische Gleichungssysteme produzieren, die wiederum durch Linearisierung auf grosse, strukturierte lineare Gleichungssysteme führen, kommt der Numerik zur Lösung linearer Gleichungssysteme insbesondere auch auf dem Hintergrund sich ändernder Rechnerstrukturen weiterhin eine grosse Bedeutung zu; dasselbe gilt für Verfahren zur numerischen Integration.
bottom:.0001pt\'>Der Stellenwert, den die Entwicklung numerischer Methoden in der Physik einnimmt, lässt sich auch ablesen an der Vielzahl der Zeitschriften mit den entsprechenden Titeln: Journal of Computational Physics, Numerical Fluid Dynamics, Journal of Numerical Radiative Transfer, Methods of Computational Physics, Computer Physics Communications, Computers in Physics, um nur einige zu nennen. Es gibt kaum ein Gebiet der modernen Physik, das ohne numerische Methoden auskommt. Zu den besonders rechenintensiven Gebieten in der Physik oder in angrenzenden Gebieten, die mit physikalischen Modellen arbeiten, zählen die Astrophysik (Strahlungstransportprobleme in mehreren Dimensionen, n-Körperprobleme in Sternhaufen, Kollaps von Sternen und Modellierung von Supernovaexplosionen, Sternentstehung, Bildung kosmologischer Strukturen) und Plasmaphysik, die durch den Kalten Krieg und die Weltraumfahrt geförderten Disziplinen Gas- und Hydrodynamik (re-entry Probleme beim Wiedereintritt von Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre können durch hyperbolische Differentialgleichungen beschrieben werden und benötigen eine korrekte numerische Behandlung von Schocks), die Hochenergie- und Teilchenphysik, die Klimaforschung, die Modelle für Atmosphäre, Ozeane und Biosphäre verknüpft, die Meteorologie (Wettervorhersage), die Theorie der kondensierten Materie, die Dichtefunktionaltheorie zur Beschreibung von Vielteilchensystemen in der Quantenmechanik oder die Schwerionenphysik. In der Olympiade der number cruncher gehören die Flugzeugindustrie (hier werden inzwischen in räumlicher Geometrie inverse Probleme gelöst, die auf den Navier-Stokes-Gleichungen aufbauen und mit Hilfe geeigneter, zu minimierender Zielfunktionalen die optimale Gestalt von Flugzeugen und ihren Tragflügeln berechnen), die Weltraumfahrt, Turbulenzrechnungen in der Strömungsmechanik, die computational chemistry mit quantenmechanischen Rechnungen von aus bis zu 1 000 Atomen bestehenden Molekülen und die elektrotechnische Industrie mit 3D-Anwendungen der Maxwell-Gleichungen zu den ständigen Teilnehmern. Anwendungen der Mehrkörpermechanik führen in der Robotik auf optimale Steuerungsprobleme, die - wie auch thermodynamische Relationen in Verbindung mit strömungsmechanischen Gleichungen - in der chemischen Verfahrenstechnik auf differential-algebraische Systeme führen; hieraus und insbesondere in Verbindung mit dem Index-Problem (numerische Integration) differential-algebraischer Systeme ergeben sich neue numerische Probleme und Verfahren.
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bottom:.0001pt\'>Ausblick
bottom:.0001pt\'>Neuere Disziplinen wie die String-Theorie benötigen neue mathematische Konzepte sowie neue numerische Verfahren und stellen sicher, dass die Beschäftigung mit numerischen Methoden in der Physik auch in Zukunft eine lebende Disziplin bleiben wird. Wie die Ergänzung der klassischen numerischen Methoden in der Physik durch den Zweig symbolischer Rechnungen oder Hybridverfahren aus Numerik und Computeralgebra zeigt, ist dabei das Feld numerischer Methoden auch hinsichtlich seines methodischen Rahmens offen und in ständiger Weiterentwicklung. Hiermit einher geht eine ständig enger werdende Verknüpfung zwischen Theorie und Experiment. Mit Hilfe immer komplexer und detailreicher werdender Modelle, und damit steigendem numerischen Aufwand, können zum Teil sehr kostspielige Experimente vermieden werden. Die Numerik in der Physik, die eine Vorreiterrolle für die Numerik in den Ingenieurwissenschaften spielt, wird somit auch zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor.
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bottom:.0001pt\'>Literatur:
bottom:.0001pt\'>G. Evans: Practical Numerical Integration, Wiley, Chichester, 1993.
bottom:.0001pt\'>R. Kippenhahn, A. Weigert und E. Hofmeister: Methods in Computational Physics, 7, S.129ff., Academic Press, New York, 1968.
bottom:.0001pt\'>M.L. Norman: Probing Cosmic Mysteries by Supercomputer, Physics Today, Oktober 1996, S.42-48.
bottom:.0001pt\'>W.H. Press, B.P. Flannery, S.A. Teukolsky und W.T. Vetterling: Numerical Recipes in FORTRAN: The Art of Scientific Computing, 2.Aufl., Cambridge University Press, Cambridge, England, 1992.
bottom:.0001pt\'>K. Simonyi: Kulturgeschichte der Physik, Verlag Harri Deutsch, Thun, 1990.
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bottom:.0001pt\'>Numerische Methoden in der Physik: numerische Methoden, die sich aus Fragestellungen der Physik ergeben.
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Methode der kleinsten Quadrate |
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Ausgleichsprobleme (Astronomie) |
Eigenwert-Differentialgleichungen |
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Quantenmechanik |
Lösung grosser linearer Gleichungssysteme |
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partielle Differentialgleichungen |
Integration von Differentialgleichungen |
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Himmelsmechanik |
Lösung nichtlinearer Gleichungen |
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Newton, Mechanik |
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Integration von Funktionen |
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Keplersche Fassregel |
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