Teilchenphysik, P, physikalische Grösse, die das Verhalten eines physikalischen Systems gegenüber räumlichen Spiegelungen angibt. Im allgemeinen bezieht sich die Parität auf Spiegelungen an einem Punkt. Man spricht von gerader oder positiver bzw. ungerader oder negativer Parität, wenn das System bei der Spiegelung in sich oder sein Inverses übergeht, und ordnet ihm dann P = +1 bzw. -1 zu. Vektoren bzw. Axialvektoren haben P = -1 bzw. +1; man nennt Axialvektoren daher auch Pseudovektoren. Da die elektrische Feldstärke ein Vektor, die magnetische Feldstärke aber ein Pseudovektor ist, hat ein Plattenkondensator negative, ein Solenoid aber positive Parität.
Die Parität eines zusammengesetzten Systems ist das Produkt
der Einzelparitäten. Die gesamte Parität eines physikalischen Systems bleibt im
allgemeinen erhalten (Paritätserhaltung), lediglich bei schwacher
Wechselwirkung wurde eine Paritätsverletzung gefunden (s. u.). Die Erhaltung
der Parität führt z. B. in der Atomphysik zur Laporteschen Auswahlregel
(Atomspektrum), die besagt, dass sich die Parität bei elektromagnetischer
Dipolstrahlung ändert. Die Parität eines Atoms ist , wobei
, die Quantenzahlen der Bahndrehimpulse der
Elektronen der Atomhülle sind (
, Z:
Kernladungszahl).
In den Quantentheorien wird der Paritätsoperation , die das Vorzeichen aller
Koordinaten in der Wellenfunktion
umkehrt, ein Operator
zugeordnet. Wellenfunktionen
mit der Eigenschaft
sind Eigenfunktionen der Parität mit
den Eigenwerten
.
Eigenfunktionen des Bahndrehimpulses zum Drehimpulsquadrat
haben die Parität
.
In der Quantenfeldtheorie bezieht man die Parität auf den
Vakuumzustand , der als
invariant gegenüber
vorausgesetzt
wird:
. Dann gilt für
einen Einteilchenzustand
mit
der Energie E und dem Impuls
:
wobei
ein Phasenfaktor ist. Bei Teilchen mit
ganzzahligem Spin (
),
die durch die eindeutigen Darstellungen - die Tensordarstellungen - der
dreidimensionalen räumlichen Drehgruppe beschrieben werden, entspricht die
zweimalige Anwendung von
der
Identität:
, und es gilt
; bei Teilchen mit
halbzahligem Spin (s = n + 1/2), die durch die zweideutigen
Darstellungen - die Spinordarstellungen - der dreidimensionalen räumlichen
Drehgruppe beschrieben werden, gilt bei zweimaliger Anwendung von
entweder
oder
, und es gilt
. Daher haben Teilchen mit ganzzahligem Spin
(Bosonen) die innere Parität oder Eigenparität
, Teilchen mit halbzahligem Spin (Fermionen)
relativ zum Vakuum.
Spinlose Teilchen mit
bzw.
-1 nennt man skalare bzw. pseudoskalare
Teilchen, Teilchen mit Spin s = 1 und
bzw. +1 Vektor- bzw. Pseudovektorteilchen. Da
die innere Parität nur als relative Parität definiert und die Parität des
Vakuums nicht beobachtbar ist, können die verschiedenen relativen Paritäten der
Elementarteilchen nur über ihre gegenseitigen Wechselwirkungen bestimmt werden.
Die Superauswahlregeln schränken diese Vergleichbarkeit ein, so dass man für
Bosonen und Fermionen je eine willkürliche Wahl treffen muss: Man legt die Parität
des
-Mesons mit P = -1, die des
Protons mit P = +1 fest (Elementarteilchen, Tab.
1-3); die relative Parität von Teilchen desselben Ladungsmultipletts kann man
willkürlich zu +1 festlegen.
Bis 1956 war man von der Erhaltung der Parität in der Natur
überzeugt und betrachtete daher nur spiegelungsinvariante Ansätze für die
Wechselwirkungen. Im Zusammenhang mit der Klärung des -
-Rätsels im System der neutralen K-Mesonen
wiesen Lee und Yang darauf hin, dass keine experimentelle Begründung für diese
Annahme vorliegt und daher bestimmte physikalische Vorgänge, z.B. Umwandlungen,
Zerfälle und Erzeugungen, und deren spiegelbildliche Ausführung nicht notwendig
gleich wahrscheinlich sein müssen (Kaon). Tatsächlich wurde von Frau Wu und
ihren Mitarbeitern 1957 am
-Zerfall des 60Co eine Verletzung der Parität nachgewiesen
(Wu-Experiment), die auch anderweitig mehrfach bestätigt wurde: 60Co zerfällt in 60Ni unter Emission eines
Elektrons
und eines
Antineutrinos
gemäss
. Bei diesem
-Übergang ändert sich der Kernspin um
den Betrag
, wobei
sowohl das Elektron als auch das Antineutrino einen Spin vom Betrag
mit sich führen. Da der Spin
ein Axialvektor ist, wird er hier zweckmässig als Drehsinn charakterisiert, der
sich bei Spiegelung offensichtlich nicht ändert. Vernachlässigt man die Masse
des Elektrons, dann weist sein Spin entweder in Richtung (Rechtsschraube) oder
entgegen der Richtung (Linksschraube) seines Impulses; der Spin des
(masselosen) Antineutrinos weist dagegen stets in Richtung seines Impulses
(Rechtsschraube): Es sind daher beide Zerfallsschemata der Abb. denkbar. Das
Wu-Experiment, bei dem die mit dem Kernspin verkoppelten magnetischen Momente
des 60Co in
einem schwachen äusseren Magnetfeld bei sehr tiefen Temperaturen ausgerichtet
wurden, zeigte, dass etwa 30 % mehr Elektronen entgegen (siehe Abb. 1a) als in
Richtung (siehe Abb. 1b) des Kernspins emittiert wurden; die Antineutrinos
wurden nicht registriert. Da bei Spiegelungen eine Rechts- in eine
Linksschraube übergeht und umgekehrt, bedeutet dies eine Verletzung der Parität.
Die gemessene Richtungsverteilung der Elektronen stimmt mit der theoretisch
unter Berücksichtigung dieser Paritätsverletzung und der von Null verschiedenen
Elektronenmasse zu erwartenden Verteilung genau überein.
Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik beschreibt die
Kopplung von Fermionen an die schwachen Vektorbosonen durch Terme, die die
Parität maximal verletzen. Beispielsweise lautet der Anteil der
Lagrange-Dichte, welcher die Wechselwirkung von Elektron, seinem Antineutrino
und dem W-Boson beschreibt:
Der Operator verhält sich unter Lorentz-Transformationen wie
ein Vektor-Axialvektor (»V-A«) und verletzt dabei die Parität maximal.
Die Paritätsverletzung in der schwachen Wechselwirkung hat zur
Folge, dass masselose Fermionen - in der Praxis trifft dies auf die Neutrinos
zu, selbst wenn sie eine kleine, nichtverschwindende Ruhemasse haben sollten -
stets eine definierte Helizität haben: es gibt nur rechtshändige Antineutrinos
und linkshändige Neutrinos, aber ein rechtshändiges Neutrino existiert in der
Natur nicht. Somit besteht in der Natur ein fundamentaler Unterschied zwischen
links und rechts. Der Übergang rechtshändiges Antineutrino linkshändiges Neutrino ist jedoch
invariant unter der kombinierten Symmetrietransformation
, also der nacheinander ausgeführten
Transformation von Ladungskonjugation
und Spiegelung
. In der schwachen Wechselwirkung wird also auch
die Symmetrie unter der Ladungskonjugation
, der
-Parität, verletzt. Die CP-Symmetrie ist
hingegen eine fast immer erhaltene Symmetrie; CP-Verletzung wird bisher nur im
System der neutralen K-Mesonen beobachtet.
Parität: Das Wu-Experiment.
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