Festkörperphysik, v.a. populärwissenschaftlich benutzter Begriff zur Umschreibung des Bestrebens, die Vielfalt der Erscheinungen aus wenigen allgemeinen Prinzipien oder Grundgesetzen, zugespitzt: einer einzigen Formel, abzuleiten und zu verstehen (»Theory of Everything«). Selbst wenn es gelingen sollte, die fundamentalen Wechselwirkungen in einer Theorie der Quantengravitation, z.B. einer Stringtheorie, einheitlich zu beschreiben, so ist doch nach heutiger Auffassung der Wunschtraum einer Weltformel unerfüllbar, und das hat im wesentlichen drei Gründe:
1. »Verstehen« im physikalischen Sinne bedeutet, die Vielfalt der Erscheinungen zu ordnen und miteinander in Beziehung zu setzen. Das Ordnen impliziert eine hierarchische Struktur, durch welche die beobachtbaren Phänomene auf wenige und physikalisch nicht weiter beweisbare Grundgesetze zurückgeführt werden können, die Erhaltungssätze, die Kraftgesetze der fundamentalen Wechselwirkungen usw. Das Ordnen und das Knüpfen von Beziehungen zwischen den verschiedenen Phänomenen ist nur anhand analytisch formulierbarer Zusammenhänge möglich, die qualitativ erkennen lassen, wie eine Grösse von anderen physikalischen Grössen abhängt. Derartige Formeln lassen sich aber für Mehr- und Vielteilchensysteme nur in wenigen Ausnahmefällen aus den Grundgesetzen gewinnen.
2. Numerische Lösungen für ein physikalisches Problem kann man im Leistungsbereich der jeweils modernsten Rechenanlagen immer gewinnen. Doch fehlen solchen Lösungen die nach Punkt 1 erforderlichen analytischen Zusammenhänge, die qualitative Aussagen ermöglichen. Auch ist mit den heutigen Rechenanlagen die Zahl der mit realistischen Potentialen wechselwirkenden Teilchen, die man berücksichtigen kann, auf etwa 106 begrenzt. Das bewirkt z.B. eine Rundung von Singulariäten bei Phasenübergängen, bei der Perkolation, bei Transportinstabilitäten usw. Dadurch werden symmetriebrechende Phänomene verschleiert. Periodische Randbedingungen helfen hier oft nicht weiter. Man muss den thermodynamischen Limes (Teilchenzahl ) realisieren, um sichere Aussagen über die genannten und ähnliche Vielteilchenphänomene zu erhalten.
3. Zusammengesetzte Materie besitzt kooperative Eigenschaften, die den Bestandteilen des Systems, den »Teilchen«, fehlen. Z.B. besitzt ein Elektron oder ein Proton keine elektrische Leitfähigkeit oder keine Kompressibilität, ein Elektronengas oder ein Kristall haben diese und viele andere Response- und Transporteigenschaften. Es ist eine bis heute offene und vieldiskutierte Frage, ob man den numerischen Resultaten, die sich aus einer Weltformel gewinnen lassen, die kooperativen Phänomene ansehen kann. Bei der einfachsten derartigen Erscheinung, die wir kennen, bei der Existenz quantisierter Energiezustände eines Systems zweier Elementarteilchen, ist diese Frage klar mit »Ja« zu beantworten. Wenn wir jedoch an den Ferromagnetismus denken, an die Suprafluidität, an die Laser-Erscheinung oder an die Taylor-Wirbelströmung, dann ist es keineswegs klar, ob wir Grössen wie den Ordnungsparameter, die Symmetriebrechung, die Universalität kritischer Exponenten oder die dimensionslosen Transportzahlen (Reynolds-Zahl usw.) aus numerischen Simulationen erkannt hätten. Alle diese Vielteilchenphänomene sind auf Grund von Modellvorstellungen verstanden worden. Die Quintessenz solcher Überlegungen lautet: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Man kann es zwar zusammensetzen, aber die Funktion des Ganzen bleibt dabei verborgen.«
Die ersten beiden dieser drei genannten Gründe sind technischer Natur. Sie beruhen auf der Unvollkommenheit unserer mathematischen Fähigkeiten oder Rechenanlagen. Der dritte Grund hat einen anderen Charakter: Bis heute ist es umstritten, ob man prinzipiell alle Phänomene aus wenigen Grundsätzen ableiten kann (Reduktionismus) oder ob zum Erkennen des kooperativen Verhaltens zusammengesetzter Systeme zusätzlich neue Denkweisen notwendig sind. Die Schwierigkeiten beim Verständnis der Erscheinungen aus den Grundgesetzen haben zur Entstehung verschiedener Beschreibungsebenen für Teilchensysteme mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Struktur geführt. Für diese Ebenen wurden jeweils eigene Konzepte und Modelle entwickelt, mit deren Hilfe es gelang, die typischen Phänomene bzw. die kooperativen Eigenschaften quantitativ zu verstehen (siehe Tab.).
Weltformel: Verschiedene Beschreibungsebenen für Teilchensysteme mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Struktur, für die jeweils eigene Konzepte und Modelle entwickelt wurden, mit deren Hilfe es gelang, die typischen Phänomene bzw. die kooperativen Eigenschaften quantitativ zu verstehen.
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System |
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Bestandteile |
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Durchmesser [m] |
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dominante Wechselwirkung |
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kooperative Erscheinungen |
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Konzepte und Modelle |
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charakteristische Beziehungen |
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Nachbardisziplinen |
Elementar- |
|
< 10-18 |
|
|
Lokalisierung, Antiteilchen, ladungsähnliche Quantenzahlen |
Erhaltungssätze |
Kosmologie |
Hadron |
Quarks, Gluonen |
10-15 |
stark |
Energiezustände (GeV) |
Resonanzen, Quarkmodell, QED, QCD |
Langrange-Dichten der Wechselwirkungen |
Kosmologie |
Atomkern |
Hadronen |
10-14 |
stark |
Energiezustände (MeV), Radioaktivität |
Kollektivmodelle, Schalenmodell, Stabilitätsgebirge |
Massenformeln |
Astrophysik |
Atom |
Atomkern, Elektronen |
10-10 |
elektromagnetisch |
Energiezustände (eV, Farben) |
Bohr-Modell, QED |
Schrödinger- |
Chemie |
Molekül |
Atome |
10-9 |
elektromagnetisch |
Polymerisierbar- |
Hybridisierung, Bindungstypen |
Born-Oppenheimer- |
Chemie |
Fluid |
Atome, Moleküle |
1 |
elektromagnetisch |
Grenzflächen- |
Korrektions- |
Navier-Stokes- |
Technik |
Festkörper |
Atome, Moleküle |
1 |
elektromagnetisch |
Periodizität, Fehlstellen, Phasenbildung, Response,
Transport |
periodisches Potential, Gittersymmetrie, Bändermodell,
Ising-Modell, Quasiteilchen |
Kristallographie, Technik |
|
Stern, Planet |
Fluide, Festkörper |
109 |
Gravitation |
Energie- |
Sternentwicklung |
Kernbrennzyklen, Hertzsprung-Russell- |
Geophysik, Astrophysik |
Galaxie |
Sterne |
1021 |
Gravitation |
Spiralstruktur, Magnetfelder |
Galaxien- |
Einstein-Gleichungen |
Astrophysik |
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Weltall |
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Galaxien |
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1026 |
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Gravitation |
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Expansion, Entwicklung |
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Substruktur |
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Hubble-Gleichung, Einstein-Gleichungen |
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Kosmologie |
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