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Plattentektonik

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Martina Wagner

Umwelt- und Geophysik, Theorie zur Erklärung der Grosstektonik der Erdoberfläche. Das, was seit Ende der 60er Jahre als Plattentektonik bezeichnet wird, ist keineswegs »ad hoc« entstanden, sondern war das Resultat eines vielschichtigen Erkenntnisprozesses.

Geologische Zeugnisse von Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche um Kilometerbeträge, vom Wechsel von Land und Meer, von Sedimentation und Abtragung waren den Geologen schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt und sind meist mit ortsständigen Vertikalbewegungen in Verbindung gebracht worden. Vorstellungen über horizontale Deckenüberschiebungen und Faltungen regionalen Ausmasses, speziell im Alpenraum, wurden insbesondere durch die grossen Alpengeologen E. Suess und A. Heim um 1875 in die Diskussion gebracht. Den Nachweis horizontaler Verfrachtung ganzer Kontinente um hunderte und tausende von Kilometern durch paläogeographische, paläontologische und paläoklimatologische Korrelationen bildete die Grundlage der Theorie der Kontinentalverschiebung, die von A. Wegener 1912 erstmals vorgetragen wurde. Damit war zwar das Eis für globale »mobilistische« Theorien gebrochen, doch Wegeners Gedanken fanden in der Fachwelt nur geteilte Aufnahme.

Die Vorstellung grossräumiger Kontinentbewegungen wurde in den 50er Jahren durch Erkenntnisse ganz anderer Art neu belebt. Die remanente Magnetisierung gleichaltriger Gesteine auf verschiedenen Kontinenten ergab systematische Unterschiede bei der Rekonstruktion der erdmagnetischen Pollagen, was nur durch gegenseitige Verlagerung und Drehung von Kontinenten in geologischen Zeiträumen zu erklären war (Paläomagnetismus, Polwanderung). Entscheidend war aber die Entdeckung eines zusammenhängenden Netzes breiter submariner Gebirgsgürtel (mittelozeanischer Rücken) in den grossen Ozeanen, deren Rückenachsen sich als Wachstumszonen neuer ozeanischer Erdkruste erweisen sollten. Diese Bereiche sind geophysikalisch gekennzeichnet durch von der Meeresoberfläche aus messbare, zur Rückenachse parallele und fast symmetrische magnetische Streifenmuster positiver und negativer magnetischer Anomalien. Die Erklärung dieser überraschenden Beobachtung durch die britischen Geophysiker F. Vine und D. Matthews führte 1963 zu dem äusserst fruchtbaren Konzept des sea floor spreading oder Meeresbodenwachstums. Danach ist der zentrale Rücken die Quellzone stetig diapirartig aus dem Erdmantel aufsteigenden und erstarrenden basaltischen Magmas. Dort, wo besonders intensive Gasexhalation stattfindet, spricht man von black smokers. Mit den durch die magnetische Feldumkehr bedingten und zeitlich datierten Polwechseln (paläomagnetische Zeitskala) kann das Alter der Streifenanomalien und damit das raum-zeitliche Wachstum der ozeanischen Kruste quantitativ rekonstruiert werden. Am Nordatlantischen Rücken beträgt die Wachstumsrate etwa 2 cm / Jahr. Die höchste Wachstumsrate weist die ostpazifische Schwelle (East Pacific Rise) mit » 6 cm / Jahr auf. Die Entwicklung aller grosser Ozeane ist in Abb.1 dargestellt. Es zeigt sich, dass keiner dieser Ozeane älter ist als 200 Ma (Ma=Millionen Jahre).

Da erwiesen ist, dass sich die Gesamtoberfläche der Erde in den letzten 200 Ma nicht signifikant vergrössert haben kann, musste nach Konvergenzzonen der Erdrinde gesucht werden, komplementär zu den divergentenWachstumszonen der ozeanischen Kruste. Die in dieser Hinsicht wichtigste neue Erkenntnis war, dass in den durch Tiefbeben gekennzeichneten Wadati-Benioff-Zonen ozeanische Lithosphäre bis in Tiefen von 700 km in den Erdmantel abtaucht. Solche Subduktionszonen liegen insbesondere im Bereich der Pazifischen Inselbögen und der Anden. Zum anderen sind auch Kollisionszonen von Kontinenten, wo nicht subduktionsfähige Krusten (Erdkruste) überschoben oder verfaltet werden, Konvergenzzonen, z.B. die Auffaltung der Alpen.

Unter dem Himalaya findet man mit seismischen Untersuchungsmethoden sogar eine Krustenverdoppelung.

Die Grundprozesse der Plattentektonik sind schematisch in der historischen Skizze (Abb.2) von B. Isacks, J. Oliver, L. Sykes (1968) zu sehen. In den »spreading Zonen« treten Versätze auf (Transformationsverwerfungen), die seismisch sehr aktiv sind. Eine solche ist die San Andreas Verwerfung in Kalifornien.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die neuen Erkenntnisse meist mit »New Global Tectonics« bezeichnet. Der Begriff »Globale Plattentektonik« hat sich erst Ende der 60er Jahre herausgebildet und kann keinem einzelnen Wissenschaftler zugeordnet werden.

Die Aussage der globalen Plattentektonik ist nun, dass die »Erdrinde« aus etwa einem Dutzend grosser, in sich relativ starrer Lithosphärenplatten besteht, die sich auf der rheologisch nachgiebigeren Asthenosphäre bewegen und die durch divergente (sea floor spreading), konvergente (Subduktion oder Kollision) oder flächenneutrale (mit Parallelverschiebungen) Plattenränder getrennt sind (Abb.3) (siehe auch Geodynamik, Abb.1). Die Bewegungen an allen Plattenrändern sind durch Erdbebenherde markiert (Erdbebengebiete).

Unter diesen Voraussetzungen ist erstmals in der Geschichte der Geowissenschaften ein in sich weitgehend konsistentes und mit Beobachtungen grossräumiger Veränderungen an der Erdoberfläche verträgliches Bild entstanden.

Dies ist bis dahin eine rein kinematische Beschreibung der Vorgänge. Die gegenwärtige Lage der Kontinente und die aus dem sea floor spreading abgeleiteten plattenkinematischen Parameter führen auf einen gemeinsamen »Urkontinent«, der vor 200-300 MJ bestanden haben muss (siehe Abb. 1). Ein solcher Urkontinent »Pangaea« wurde bereits von Wegener postuliert. Paläomagnetische Daten an kontinentalen Gesteinen zeigen nun aber, dass die Existenz des Urkontinents nur eine vorübergehende Phase in der Erdgeschichte war.

In den letzten Jahren wurden die plattentektonischen Bewegungen auch mit satellitengeodätischen und astronomischen Methoden verifiziert (Laserentfernungsmessung, Global Positioning System). Tatsächlich weicht das Verhalten der »Erdrinde« in vielen Details vom Verhalten starrer Platten ab. Es gibt auch innerhalb der kontinentalen Plattenbereiche bruchtektonische Erscheinungen, begleitet von Erdbeben (Intra-Plattentektonik). Ein kontinentales Graben- oder Riftsystem kann die Initialphase einer Kontinenttrennung und Ozeanneubildung sein (z.B. das ostafrikanische Grabensystem). Auch die Faltung in Orogenen (Orogenese) entspricht nicht dem einfachen Grundkonzept der starren Platten, sondern erfordert »duktile« Nachgiebigkeit der Kruste. Insbesondere tritt häufig in den zwischen Inselbögen und Kontinenten liegenden Randmeeren (z.B. Japan-See, Ägäis) Inselbogenvulkanismus mit andesitischem, d.h. SiO2-reichem Chemismus sowie kleinräumiges sea floor spreading auf.

Zunächst sind nur die Relativbewegungen der Lithosphärenplatten gegeneinander beobachtbar. Ein absolutes Bezugssystem liefern die sog. Hotspots. Dies sind relativ ortsfest im tieferen Erdmantel verankerte heisse Zonen und Quellen von Vulkanketten an der Erdoberfläche. Das Magma steigt in plumes oder Manteldiapiren auf und brennt sich gewissermassen durch die darüber hinweg gleitende Lithosphärenplatte hindurch. Ein Beispiel ist die Hawaii-Vulkankette.

Als Antriebskräfte für die Plattenbewegungen liefern einerseits die von den ozeanischen Rücken abgleitenden jungen ozeanischen Lithosphärenplatten einen Schub (ridge push), andererseits übt in der abtauchenden Subduktionszunge das vom leichteren Basalt in die spezifische schwerere Eklogit-Phase übergehende Gestein einen Schwerkraftzug (slab pull) aus. Letztlich ist alles durch den Gesamtprozess der thermischen Konvektion im Erdmantel (Geodynamik) bestimmt.

Plattentektonik

Plattentektonik 1: Alter der ozeanischen Kruste.

Plattentektonik

Plattentektonik 2: Schematische Skizze der Plattentektonikprozesse.

Plattentektonik

Plattentektonik 3: Das Plattenmuster der Erde.

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