Umwelt- und Geophysik
Erdbeben, Vulkane, heisse Quellen und auch die Polarlichter in hohen Breiten sind Phänomene, die ihren Ursprung in den dynamischen Vorgängen des Erdinneren haben. Die seismische Aktivität der Erde ist an vielen Stellen, wie z.B. an den San-Andreas-Verwerfungen in Kalifornien durch die Versetzung von Strassen, dramatisch sichtbar. Auch spektakuläre Vulkanausbrüche, wie beispielsweise der des Ätna auf Sizilien oder von Vulkanen auf Hawaii, zeigen uns, dass das Innenleben der Erde nicht so ruhig abläuft, wie es meistens den Anschein hat. Nicht zuletzt hat das Magnetfeld der Erde seinen Ursprung in den Konvektionsbewegungen im äusseren Erdkern.
Die Geodynamik, d.h. die Dynamik des Erdkörpers und des Erdinneren, ist eine der jüngsten Disziplinen der Geophysik. Die Ergebnisse aufwendiger numerischer Simulationen und die Erkenntnisse aus Messungen der jüngeren Raumsonden wie z.B. Magellan und Galileo an den Planeten Venus und Jupiter bzw. dessen Monden konnten das Verständnis für die komplexe Dynamik der Erde erweitern. Auch neueste Forschungen im Bereich der seismischen Tomographie und Laboruntersuchungen an Proben, die den Bedingungen des Erdinneren bezüglich der chemischen Zusammensetzung, Druck und Temperatur angenähert sind, dienen wesentlich zur Erforschung des physikalischen Verhaltens der nur auf den ersten Blick so starren Erde.
Als Wegbereiter in diesem Zweig der Geophysik gilt A. Wegener. 1912 stellte er auf einer Geologentagung in Frankfurt/Main seine Kontinentalverschiebungstheorie vor. Dort wurde sie, wie auch später, von der überwiegenden Mehrheit der Geowissenschaftler abgelehnt, die von einem starren Bild der Erde und ihrer Oberfläche nicht abrücken wollten. Gängig war zu dieser Zeit die Meinung, dass sich die Erde nach einem kurzen heissen Frühstadium schnell abgekühlt und sich dabei die Kontinente in der jetzigen Form gebildet haben. Durch diesen Abkühlungsprozess sollte der Erdkörper geschrumpft sein und somit Kompressionskräfte freigesetzt haben, die wiederum für die Gebirgsbildung an den Schwächezonen verantwortlich waren. Als diese Zonen wurden Kontinentalränder oder mit Sedimenten gefüllte Ozeanbecken betrachtet.
Angeregt durch die geometrische Passform der Kontinente beim Betrachten der Weltkarte formulierte Wegener eine Theorie, wonach die Kontinente, aufgeteilt in viele Schollen, sich gleichsam schwimmend auf dem Erdmantel bewegen sollten, und sammelte als Geowissenschaftler im Laufe seines Lebens Indizien für die Richtigkeit seiner Theorie. So konnten durch paläomagnetische Messungen der Gesteine aus verschiedenen Gebieten die Positionen der einzelnen Segmente der Erdoberfläche zu unterschiedlichen geologischen Epochen bestimmt werden. Neben diesen Messungen verhalfen geologische Äquivalenzen der unterschiedlichen Kontinente und nicht zuletzt auch biologische Gemeinsamkeiten der Fauna und Flora der Kontinentalverschiebungstheorie 50 Jahre später zur allgemeinen Akzeptanz. Mittlerweile ist man durch geodätische Messungen - insbesondere durch die Satellitengeodäsie - in der Lage, die Bewegungen der einzelnen Erdplatten gegeneinander genau zu registrieren.
Die moderne Form der
Plattentektonik geht davon aus, dass die Erdkruste in verschieden grosse Platten
unterteilt ist, die ständig relativ zueinander in Bewegung sind. Hierbei werden
drei Typen der Bewegung unterschieden: die Subduktion, d.h. das Abtauchen einer
Platte unter einer anderen; die Bildung von sogenannten Spreizungszonen, also
Bereichen, in denen sich neue ozeanische Kruste formt; und die
Transformstörungen, an denen zwei Platten aneinander vorbeigleiten. In [54]Abb. 1 ist die heutige Lage der
einzelnen Krustenplatten und deren Bewegungen dargestellt.
Was treibt nun die
Kontinente? Auch die frühen Befürworter der Kontinentalverschiebungstheorie
hatten am Anfang Schwierigkeiten, die Kräfte zu benennen, die diese Bewegung
verursachen. Erste Erklärungsversuche mit Hilfe der Rotation der Erde und der
daraus resultierenden Abplattung konnten schnell als unzureichend widerlegt
werden. Erst in der Mitte der sechziger Jahre ist die Konvektion im Erdmantel
als treibende Energiequelle akzeptiert worden. Um zu erklären, wie es zum
Auftreten der Konvektion kommt, betrachten wir hier kurz die Theorien, die die
Entstehung der Erde als planetaren Körper beschreiben. Hierzu gibt es zwei
konkurrierende Ansätze:
· die Erdentstehung durch einen
Gravitationskollaps, der durch lokale Verdichtung von Staub- und Gasmassen
angeregt wurde, ähnlich den Vorgängen, die für die Entstehung von Sternen
verantwortlich gemacht werden.
· Entstehung durch die Anlagerung
von Kleinstkörpern, sogenannten Planetesimals, die in einem früheren Stadium
aus der Wolke auskondensierten und später miteinander kollidierten.
Beide Theorien bedingen, dass die Erde in einem frühen Stadium sehr heiss gewesen ist, das zweite Modell erfordert zusätzlich, dass ihr Material im Inneren weitgehend geschmolzen war.
Die Abkühlung der Erde erfolgte anschliessend durch Konvektion der Schmelze und durch konvektiven Wärmetransport durch das nicht geschmolzene Gestein. Erstarrt eine Schmelze infolge der Abgabe von Wärme, so stellen sich chemische Trennprozesse ein, die sogenannte Differentiation. Diese Differentiation wird für die unterschiedliche chemische Zusammensetzung der kontinentalen und ozeanischen Kruste verantwortlich gemacht. Man nimmt heute an, dass sogenannte Magmaozeane (magma oceans), in denen sich solche Differentiationsprozesse abspielten, die Reservoire für die Bildung der Kontinente im Frühstadium der Erdenstehung waren.
Dieser Abkühlungsprozess dauert heute noch an. Da der Erdmantel nicht (mehr) aufgeschmolzen ist, wird die Wärme durch Konvektion innerhalb des »festen« Gesteins transportiert. Diese Konvektion läuft sehr langsam ab, und die Umlaufzeit einer virtuellen Probe um eine Konvektionszelle beträgt mehrere hundert Millionen Jahre.
Das Innere der Erde
selbst ist, von wenigen Tiefbohrungen in der Kruste abgesehen, unzugänglich für
direkte Messungen, und die Geowissenschaft ist von der indirekten Bestimmung
der physikalischen Parameter wie Druck, Temperatur, Kompressionsmodul usw.
durch Analyse der Erdbebenwellen und von Modellannahmen abhängig. Um ein
detailliertes Bild von der Dynamik des Erdinneren zu erhalten, wird auf die
Methodik der Computersimulationen zurückgegriffen. Waren die ersten Modelle
noch recht einfach und betrachteten nur die grundlegenden hydrodynamischen
Gesetze, die zudem auf zwei Raumdimensionen beschränkt waren, so sind die
modernen Modelle demgegenüber wesentlich verfeinert. Wichtige physikalische Eigenschaften
wie Kompressibilität des Mediums, interne Wärmequellen im Erdmantel durch
radioaktiven Zerfall, Phasenumwandlungen der Mineralien und die damit
verbundene Freisetzung von latenter Wärme sowie thermochemische Effekte werden
ebenso berücksichtigt wie die kugelförmige Gestalt des Erdmantels. Daher hat
sich auch die Topologie des Konvektionsmusters mit dieser Entwicklung von der
einfachen regelmässigen und auch zeitlich stationären Walzenstruktur der ersten
Rechnungen, wie sie im oberen Teil von [55]Abb. 2 dargestellt sind, hin zu den
unregelmässigen, teilweise chaotisch anmutenden Strömungsmustern als Ergebnis
der verfeinerten Rechnungen ([56]Abb. 2 unten) geändert. Diese
Strukturen sind stark zeitabhängig, so dass man dieses Bild nur als
Momentaufnahme der Zustände im Erdinnern interpretieren darf. Ergebnisse der
seismischen Tomographie lassen darauf schliessen, dass das Innere der Erde eher
diesem »chaotischen« Muster entspricht als den regelmässigen Rollen in [57]Abb. 2 (oben).
Aufgrund der Unsicherheiten über die Zahlenwerte der dominierenden physikalischen Parameter und wegen der nichtlinearen Natur dieser Dynamik des Erdmantels können diese Rechnungen nicht den genauen Zustand des Erdmantels bestimmen oder gar seine zukünftige Entwicklung vorhersagen, doch tragen sie wesentlich zum besseren Verständnis der Physik solcher Systeme wie des Erdmantels bei.
Noch unzugänglicher
als der Erdmantel ist der Erdkern für Beobachtungen durch den
Geowissenschaftler. Zwar gibt es auch hier erste Simulationsrechnungen, doch
stehen diese noch am Beginn ihrer Entwicklung. Die Materialströme im flüssigen
äusseren Kern beziehen ihre Energie ebenso wie die Kontinentaldrift aus dem
Abkühlen des festen inneren Erdkerns und dem Absinken schwererer Bestandteile
und der damit verbundenen Umsetzung von potentieller Energie in Wärme. Diese
Wärme wird durch Konvektionsbewegung an die Kern-Mantel-Grenze transportiert
und an den unteren Erdmantel abgegeben. Wegen des flüssigen Aggregatzustandes
des Materials sind die Bewegungen wesentlich heftiger als im »festen« Gestein,
und die Erdrotation muss in physikalischen Modellvorstellung über die Vorgänge
in diesem Bereich mit berücksichtigt werden. Die Kopplung zwischen der
Konvektionsbewegung und der Erdrotation bewirkt ein walzenförmiges Konvektionsmuster
([58]Abb. 3). Aufgrund des hohen
Eisenanteils des äusseren Erdkerns ist dieser elektrisch leitfähig, und mit den
Konvektionströmen ist ein elektrischer Stromfluss verbunden, der wiederum das
Erdmagnetfeld erzeugt. Der Mechanismus dieses Dynamos ist in seinen
Einzelheiten noch nicht ganz erforscht (Geomagnetismus). Neben den Gesetzen der
Thermodynamik müssen hier auch diejenigen der Elektrodynamik mit berücksichtigt
werden.
Geodynamik 1: Die zwölf wichtigsten Lithosphärenplatten und die Relativberwegung an den Plattengrenzen.
Geodynamik 2: Oben: Regelmässiges Konvektionsmuster aus einer zweidimensionalen Modellrechnung. Dargestellt ist das Temperaturfeld (rot: heisses, aufsteigendes Material; blau: kaltes, absinkendes Material). Unten: Konvektionsmuster aus zeitabhängigen Rechnungen. Deutlich zu erkennen ist das turbulente Verhalten des simulierten Erdmantels.
bottom:.0001pt\'>Geodynamik 3: Walzenmuster der Konvektion, die im äusseren Erdkern vermutet wird. Die Achsen der Walzen sind parallel zur Drehachse.
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