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Bezugssystem

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Karl-Wilhelm Steinfieber

Beobachtersystem, System von materiellen Körpern und Mechanismen, z.B. drei starren Massstäben und einer Uhr, mit deren Hilfe die Lage anderer Körper zu einem durch die Uhr des Bezugssystems bestimmten Zeitpunkt relativ zu den Massstäben des Bezugssystems angegeben werden kann. Die Einführung von Bezugssystemen ist zur quantitativen Behandlung physikalischer Probleme unumgänglich. Sie gestattet, den Raum durch Anlegen und Abtragen von Massstäben und die Zeit durch Einführen von Zeitmarken mittels Uhren zu metrisieren, d.h. durch Einführung einer Metrik messbar zu machen.

Vom physikalischen Begriff des Bezugssystems, der aus der Terminologie der Newtonschen Mechanik und der Relativitätstheorie stammt, sollte der zunächst rein mathematisch geprägte Terminus des Koordinatensystems unterschieden werden, der die zahlenwertmässige Erfassung der Objekte eines mathematischen Vektorraumes erlaubt. Die Verwandschaft der Begriffe zeigt sich darin, dass der Raum der physikalischen Erfahrung mit dem dreidimensionalen Vektorraum der reellen Zahlen idendifiziert werden kann. Die Einheitsvektoren der Basis des Koordinatensystems entsprechen dann den Massstäben des Bezugssystems, mit deren Hilfe, vervollständigt durch eine Uhr, Raum-Zeit-Punkte durch Zahlenangaben fixiert werden. In diesem Sinne kann ein Bezugssystem als Basis des makroskopischen physikalischen Vektorraums mit einer Uhr zur Zeitmessung definiert werden.

Gemäss diesen Überlegungen erfordert die Markierung eines Punktes P im Raum die Angabe von drei Koordinaten. Wie diese beschaffen sind, hängt von der an und für sich willkürlichen Wahl eines geeigneten Koordinatensystems ab. Im allgemeinen benutzt man geradlinig rechtwinklige, seltener krummlinige bzw. schiefwinklige Koordinatensysteme.

Berücksichtigt man noch die Zeit, so ist ein in P stattfindendes Ereignis, z.B. ein Lichtblitz, durch vier Zahlenangaben bestimmt, nämlich die drei räumlichen Koordinaten und die Zeit t.

Von ausserordentlicher Bedeutung ist die Frage, ob es ein ausgezeichnetes Bezugssystem gibt, das in einem absoluten Raum ruht, wie Newton dies in seinen "Philosophiae naturalis principia mathematica" von 1686 propagierte. Spätestens seit Michelsons Interferenzversuch von 1887, in dem die Existenz eines absolut ruhenden Äthers widerlegt wurde, muss die Existenz eines solchen ausgezeichneten Bezugssystems verneint werden. Ein absoluter Raum, d.h. ein dem Raum eingeprägtes Koordinatennetz, existiert nicht, desgleichen auch keine absolute, d.h. eine für alle Ereignisse gleiche Universalzeit; die Wahl des Bezugssystems ist daher zunächst weitgehend beliebig.

Von besonderer Bedeutung sind jedoch Inertialsysteme, in denen alle physikalischen Gesetzmässigkeiten die gleiche, und zwar ihre einfachste Gestalt annehmen. In diesen Systemen befinden sich freie Körper in Ruhe oder bewegen sich geradlinig gleichförmig (erstes Newtonsches Axiom), und jedes zu einem Inertialsystem geradling gleichförmig bewegte Bezugssystem ist ebenfalls ein Inertialsystem. Die Erfahrung zeigt, dass man sich ein solches Inertialsystem mit dem Fixsternhimmel fest verankert denken kann, wobei die Zeit durch den mittleren Sonnentag bestimmt wird.

Es ist jedoch nicht immer möglich, die Bewegung in Inertialsystemen zu betrachten. Beispielsweise ist das Bezugssystem unserer täglichen Erfahrung, die Erde, kein Inertialsystem. In nichtinertialen Bezugssystemen erscheint eine kräftefreie Bewegung beschleunigt. Es treten Schein- oder Trägheitskräfte auf.

Bei vielen Betrachtungen spielt die Erdrotation jedoch nur eine untergeordnete Rolle, und ein mit der Erdoberfläche fest verbundenes Bezugssystem, z.B. die von einer Ecke des Labors ausgehenden drei Kanten und die Laboratoriumsuhr, kann in erster Näherung als Inertialsystem angesehen werden. Dies ist das für praktische Untersuchungen wichtige Laborsystem. Daneben wird für theoretische Überlegungen häufig ein anderes, für abgeschlossene Systeme wie z.B. ein Paar von Elementarteilchen, die einen Stossprozess ausführen, inertiales Bezugssystem, das Schwerpunktssystem, benutzt, dessen Ursprung durch den Massenschwerpunkt der betrachteten Körper festgelegt wird.

Die bisherigen Betrachtungen setzen implizit ein bestimmtes Verhalten der materiellen Körper und Mechanismen, die ein Bezugssystem bilden, voraus. Man verlässt sich z.B. auf die Geradlinigkeit von Lichtstrahlen im freien Raum oder auf die Starrheit spannungsfreier, fester Körper, auch wenn sie bewegt oder verlagert werden.

Im Rahmen der Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie muss zwischen dem Begriff des Bezugssystems und des Koordinatensystems noch sorgfältiger als in der nichtrelativistischen Physik unterschieden werden, da in der Speziellen Relativitätstheorie bei der Transformation von einem Bezugssystem in ein anderes der Längen- und Zeitmassstab nicht erhalten bleibt (Lorentz-Transformation, Massstabsvergleich, Uhrenvergleich) und in der Allgemeinen Relativitätstheorie die Koordinatensysteme im allgemeinen krummlinig sind. Jedoch lassen sich die lokalen Inertialsysteme der Allgemeinen Relativitätstheorie in der Regel mit einem Bezugssystem identifizieren.

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