Biographien, Leonhard, schweizer Mathematiker, Physiker, Astronom, *15.4.1707 in Basel, 18.9.1783 in St. Petersburg.
Nach dem Besuch der Lateinschule begann Euler mit 13 Jahren an der Universität Basel das Studium der Philosophie und Theologie, studierte aber schliesslich nur noch Mathematik. 1727 ging er an die neugegründete Akademie in St. Petersburg, an der er 1730 Professor für Physik, 1733 Professor für Mathematik wurde. Friedrich II. von Preussen berief ihn 1741 an die Berliner Akademie, wo er Direktor der mathematischen Klasse wurde und nach dem Tod des Präsidenten P.L. Maupertuis faktisch die Aufgaben des Präsidenten übernahm, ohne dass Friedrich II. ihn zum Präsidenten ernannte und Eulers überragenden wissenschaftlichen Rang zu würdigen wusste. Wegen schwerer Differenzen mit Friedrich II, die ihre Ursache in gravierenden weltanschaulichen und charakterlichen Unterschieden hatten und sich an heftigen Auseinandersetzungen um die Finanzierung der Akademie entzündeten, kehrte Euler 1766 wieder nach St. Petersburg zurück. Trotz der dort einsetzenden Erblindung als Folge des Altersstars arbeitete Euler dank der Unterstützung seines Sohnes Johann Albrecht Euler (1734-1800) und anderer jüngerer Mathematiker unermüdlich weiter. Euler hat ein gigantisches Werk (866 Titel führt Eneström an) hinterlassen, das alle wichtigen mathematischen und physikalischen Disziplinen seiner Zeit berührt. Mit seinen Lehrbüchern hat er, obwohl er nie als akademischer Lehrer wirkte, Generationen von Mathematikern geprägt und auch dadurch die Entwicklung der Mathematik und Physik entscheidend mitbestimmt. Während Newton, Leibniz und die Brüder Bernoulli die Analysis noch sehr geometrisch und anschaulich formulierten, benutzte Euler konsequent den Funktionsbegriff und untersuchte die Eigenschaften der Funktionen vorwiegend mit Hilfe ihrer Darstellung als Potenzreihen. In seinen Lehrbüchern hat Euler seine eigenen Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit den Resultaten seiner Vorgänger dargestellt und dadurch sowohl inhaltlich als auch methodisch mancher mathematischen Disziplin das noch heute tragfähige Fundament gegeben oder sogar ganz neue Gebiete begründet, wie z.B. die Variationsrechnung. Für die Analysis sind besonders zu nennen seine Introductio in analysin infinitorum (2 Bde., Lausanne 1748), Institutiones calculi differentialis (Petersburg 1755) und Institutiones calculi integralis (4 Bde., Petersburg 1768-1794). In seiner Mechanica sive motus scientia analytice exposita (2 Bde., Petersburg 1736) gibt Euler eine Einführung in die Newtonsche Mechanik, wobei er sich der neuen Ergebnisse und Möglichkeiten der Infinitesimalrechnung bedient, aber erst 1750 gelingt es ihm in seiner Schrift Decouverte d´un nouveau principe de mecanique, das sogenannte Newtonsche Kraftgesetz (Kraft = Masse × Beschleunigung) in einer äquivalenten Form mit Hilfe von Differentialen zu formulieren, welches er als »die eine einzige Formel« bezeichnet, die alle Prinzpien der Mechanik enthält (Opera omnia, Ser. 2 Tom. V pag. 89).
Newtons Theorie von den Planeten und Kometen baut Euler in
seiner Theoria motuum planetarum et cometarum (Berlin 1744) weiter aus,
allerdings lehnt er die Vorstellung von der Gravitationskraft als einer
Fernkraft strikt ab und versucht sein ganzes Leben lang, die Gravitation mit
Hilfe irgendeiner feinen Materie bzw. einem Äther zu erklären. In seiner
Dioptrica (3 Bde., Petersburg 1769-1771) veröffentlicht Euler wichtige Beiträge
zur geometrischen Optik. Als ein schönes Beispiel für seine Fähigkeit, seine
Wissenschaft in den Dienst praktischer Anwendungen zu stellen, sei seine
Schrift Théorie complète de la construction et de la manoevre des vaisseaux
(Petersburg 1773) genannt. Seine Anleitung zur Algebra (Petersburg 1770) ist
von solcher Klarheit und Einfachheit, dass sie sogar in Reclams
Universalbibliothek (Nr. 1801-1805) erschien. Die für die älteste Tochter des
Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg-Schwedt geschriebenen Lettres à une
princesse d\'Allemagne sur divers sujets de physique et de philosophie (3 Bde.
Petersburg 1768-1772) sind ein Meisterwerk populärwissenschaftlicher
Darstellung und zeigen, dass Euler auch eigenständige Ideen und Gedanken in der
Philosophie und Theologie vertrat. Zwar hat sich Euler sein ganzes Leben lang
intensiv mit physikalischen Problemen beschäftigt, aber offenbar niemals
experimentiert, für ihn war die Physik immer angewandte Mathematik.
Literatur:
Leonhard Euler, Opera omnia (Basel, seit 1911 in vier Serien, geplant sind
87 Bände, bisher sind 73 Bände erschienen);
Gustav Eneström, Verzeichnis der Schriften Leonhard Eulers (Jahresber. der Dt.
Mathematiker-Vereinigung, Erg. Bd. IV Lfg. 1. 2. Leipzig 1910, 1913);
G.K. Mikhailow, Notizen über die unveröffentlichten Manuskripte von Leonhard
Euler (in: Leonhard Euler zum 250. Geburtstag, hrsgb. von Kurt Schröder, Berlin
1959). [VS]
Euler, Leonhard
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