Relativitätstheorie und Gravitation
1 Einleitung
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schien die Physik zu einem Abschluss gekommen zu sein. Alle wesentlichen Fragen schienen geklärt zu sein; was noch blieb, war Detailarbeit. Einige doch recht grundlegende Probleme widersetzten sich allerdings hartnäckig einer befriedigenden Lösung. Zu diesen gehörte die Tatsache, dass die Maxwell-Gleichungen nicht Galilei-invariant waren. Offensichtlich galten sie nur in einem einzigen Inertialsystem, welches man Äthersystem nannte (Äther-Hypothese). Alle Versuche, diesen Äther experimentell zu belegen, scheiterten jedoch. Der wohl bekannteste dieser Versuche ist das Michelson-Morley-Experiment. Hierbei wird ein Lichtstrahl geteilt; beide Teilstrahlen durchlaufen anschliessend eine Strecke gleicher Länge, bevor sie wieder vereinigt werden. Sollte die Ätherhypothese zutreffen, dann sollten sich nur im Äthersystem die Lichtsignale mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c = 2,997925 × 108 m / s bewegen. Nimmt man an, dass die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne sich mindestens einmal mit mindestens 30 km / h relativ zum Äther bewegt, so müssten sich die Lichtstrahlen in unterschiedlichen Richtungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten. Dann aber dürften die beiden Teilstrahlen im Michelson-Morley-Experiment nicht gleichzeitig auf dem Schirm ankommen, was sich durch Interferenzerscheinungen bemerkbar machen sollte. Dergleichen wurde aber nicht beobachtet.
In den Jahren nach der erstmaligen Durchführung dieses Experiments 1887 gab es einige Lösungsvorschläge (u. a. von Lorentz, der einen Einfluss des Weltäthers auf die Länge der Arme des Michelson-Interferometers annahm), die jedoch wenig überzeugend waren. Interpretiert man das Michelson-Morley-Experiment dahingehend, dass die Maxwell-Gleichungen in allen Inertialsystemen gelten, so bewegt sich Licht unabhängig von der Bewegung der Lichtquelle (dies wird auch durch Doppelsternbeobachtungen gestützt) und unabhängig vom Beobachter (Inertialsystem) stets mit der gleichen Geschwindigkeit c. Bei dieser Argumentation wurde implizit das Relativitätsprinzip verwendet, welches besagt, dass alle Inertialsysteme gleichberechtigt sind. Das Relativitätsprinzip wurde für die Mechanik allgemein anerkannt, nicht jedoch für die Elektrodynamik. Der negative Ausgang des Michelson-Morley-Experiments legt jedoch eine Verallgemeinerung des Relativitätsprinzips auch für elektromagnetische Erscheinungen wie etwa die Lichtausbreitung nahe.
Fassen wir nun unser bisheriges Wissen über die Lichtausbreitung in den beiden folgenden Prinzipien zusammen:
· Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Ein Lichtsignal breitet sich im Vakuum in jedem Inertialsystem mit der gleichen Geschwindigkeit c aus unabhängig vom Bewegungszustand der Lichtquelle.
· Relativitätsprinzip: Alle Inertialsysteme sind bezüglich allen physikalischen Erscheinungen gleichberechtigt.
Offenbar sind die klassischen Vorstellungen von Raum und Zeit (die ihren Niederschlag in den Galilei-Transformationen finden) nicht mit diesen beiden Prinzipien verträglich. Im Rahmen der klassischen Raum-Zeit-Struktur ist es absurd, wenn man einem sich mit c fortbewegenden Lichtsignal nacheilt und dennoch wieder die gleiche Geschwindigkeit c misst. Die klassische Raum-Zeit-Struktur muss also revidiert werden. Diese Aufgabe wurde von A. Einstein in seiner 1905 in der Zeitschrift Annalen der Physik erschienenen Arbeit »Zur Elektrodynamik bewegter Körper« gelöst; sie ist Gegenstand des nun folgenden Abschnitts.
2 Relativistische Raum-Zeit-Struktur, Kinematik
Wie wir in der Einleitung sahen, lassen sich die beiden aus der Erfahrung und auf dem Wege der postulierenden Verallgemeinerung gewonnenen Prinzipien Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und Relativitätsprinzip nicht mit den klassischen Vorstellungen von Raum und Zeit in Einklang bringen. Eine Revision der klassischen Vorstellungen von Raum und Zeit ist unumgänglich.
Die beiden oben genannten Prinzipien erweisen sich als ausreichend für die Ergründung der neuen, relativistischen Raum-Zeit-Struktur. Es gibt hierfür mehrere mögliche Vorgehensweisen, solche mehr abstrakt-mathematischer Natur und eher physikalisch-anschauliche. Erstere haben den Vorteil, elegant und überschaubar zu sein, während für letztere ein höheres Mass der Anschaulichkeit und konzeptioneller Klarheit spricht. Wir skizzieren hier einen Weg, der operational die notwendigen physikalischen Begriffe konstruiert und letzterer Vorgehensweise zuzuordnen ist.
Stellen wir uns die Aufgabe, mittels Uhren und Massstäben die neue Raum-Zeit-Struktur zu ergründen. Wir wollen zu diesem Zweck Standarduhren und Standardmassstäbe verwenden. Als Standardmassstäbe benutzen wir einfach starre Körper (der Begriff Starrheit in der Relativitätstheorie weist Probleme auf, wenn beschleunigte Bewegungen betrachtet werden; wir fassen aber zunächst nur unbeschleunigte Bewegungen ins Auge), als Standarduhren sog. Lichtuhren. Letztere bestehen einfach aus zwei Spiegeln mit wohldefiniertem Abstand, zwischen denen ein Lichtsignal hin- und herpendelt. Ausserdem sei ein Zählwerk angebracht, welches die Zahl der Perioden aufzeichnet. Wir verwenden hier Lichtuhren, weil wir auf Grund der beiden Prinzipien ein hinreichend grosses Wissen über das Verhalten von Licht haben und beurteilen können, was passiert, wenn sich die Lichtuhr bewegt.
Bauen wir nun mit diesen beiden Ingredienzen Bezugssysteme auf. Hierzu errichten wir mit den Massstäben ein starres Gitter und positionieren in jedem Knotenpunkt eine Lichtuhr. Um eine einheitliche Zeit des Bezugssystems zu gewinnen, müssen wir die Uhren noch geeignet synchronisieren. Sobald dies geschehen ist, kann die sog. Einweglichtgeschwindigkeit eines sich von Punkt A nach Punkt B bewegenden Lichtsignals gemessen werden (durch Vergleich der Anzeigen der beiden Uhren bei Start und Ankunft). Zuvor ist nur die sog. Zweiweglichtgeschwindigkeit messbar (hierzu ist nur eine Uhr nötig; man sendet nämlich bei diesem Experiment ein Signal von A nach B, reflektiert es dort und sendet es wieder nach A zurück). Es stellt sich die Frage, ob man hier eine Wahlfreiheit hat oder ob die Einweglichtgeschwindigkeit empirisch bestimmt werden kann. Diese Frage war der Ausgangspunkt einer langen, bis heute noch nicht abgeschlossenen Diskussion (Reichenbach-Grünbaum-Debatte). Wir wollen diese aber an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, sondern schreiten pragmatisch fort und wählen die einfachste und natürlichste Synchronisationsmethode: Wir schicken ein Lichtsignal von A nach B und wieder nach A zurück und stellen die Uhr in B so ein, dass sie bei Reflexion genau das arithmetische Mittel zwischen Abgangszeit und Wiederkehrzeit in A (angezeigt durch die dort befindliche Uhr) anzeigt. So verfahren wir mit allen Uhren unseres Bezugssystems und nennen dann die so gewonnene Zeit die Zeit des Bezugssystems.
Anschliessend
konstruieren wir auf die gleiche Weise ein zweites Bezugssystem, welches sich
gegenüber dem ersten mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung bewegen möge, und synchronisieren auch in
diesem die Uhren. Nun können wir untersuchen, wie die von den Uhren des zweiten
Bezugssystems angezeigten Zeiten mit denjenigen des von den
Uhren des ersten Bezugssystems
angezeigten Zeiten zusammenhängen. Konkret
geht es um folgendes Problem: In
werde am Ort x zur
Zeit t, gemessen mit den zu
gehörenden Uhren und Massstäben, ein Ereignis
konstatiert (z. B. ein Aufblitzen einer Lampe). In
hat dieses Ereignis also die Koordinaten
. Welche
Koordinaten
hat das Ereignis in
? Welche
-Uhr mit
welcher Koordinate
befindet sich beim Aufblitzen gerade am Ort
des Aufblitzens, und welche Zeit
zeigt dann diese Uhr an?
Mit Hilfe der beiden
grundlegenden Prinzipien lässt sich dieses Problem lösen. Zunächst einmal
gewinnt man aus ihnen drei kinematische Effekte der neuen Raum-Zeit-Struktur:
Relativität der Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Lorentz-Kontraktion. Zwei
Ereignisse sind gleichzeitig in einem Bezugssystem , wenn die an
den jeweiligen Orten befindlichen und in
gemäss obiger Vorschrift synchronisierten Uhren
die gleiche Zeit anzeigen. Dies ist äquivalent dazu, dass zwei simultan von der
örtlichen Mitte zwischen diesen beiden Uhren abgehende Lichtsignale bei Ankunft
mit den beiden Ereignissen koinzidieren (siehe [17]Abb. 1). Betrachtet man nun diesen
Vorgang vom relativ zu
sich mit der Geschwindigkeit
bewegenden Inertialsystem
aus, so werden diese beiden Ereignisse dort
nicht mehr als gleichzeitig beurteilt. Die Uhr am Ort des »linken« Ereignisses
eilt dem Synchronisationssignal entgegen, die andere entfernt sich von diesem
(siehe [18]Abb. 1). Da die Lichtgeschwindigkeit
auch in
gleich c ist,
kommen beide nicht mehr gleichzeitig an. Als Korollar ergibt sich sofort, dass
die im Inertialsystem
synchronisierten Uhren vom Beobachter
nicht mehr als synchron konstatiert werden
(und umgekehrt). Gleichzeitigkeit ist also relativ, und die Verwendung von
Begriffen wie »jetzt« oder »in diesem Augenblick« macht nur Sinn, wenn sie auf
ein bestimmtes Bezugssystem bezogen werden.
Die Zeitdilatation
gewinnt man aus der Analyse einer sich bewegenden Lichtuhr. Vom ruhenden
Beobachter aus betrachtet beschreibt das Lichtsignal die in [19]Abb. 2 dargestellte Dreiecksbahn. Da
die Lichtgeschwindigkeit aber nach wie vor c ist
(obwohl sich die »Lichtquelle« (unterer Spiegel der Lichtuhr) nun bewegt),
leuchtet sofort ein, dass der ruhende Beobachter eine längere Dauer der durch
das Hin- und Herpendeln des Signals definierten Zeiteinheit konstatiert. Die
bewegte Uhr geht also im Vergleich zu den im Inertialsystem ruhenden Uhren verlangsamt. Umgekehrt
beurteilt der Beobachter
eine
-Uhr als
verlangsamt gehend. Wegen der Relativität der Gleichzeitigkeit (es wird nicht
an denselben Raumpunkten verglichen!) liegt hier kein Widerspruch vor.
Die Länge eines sich bewegenden Stabes kann durch gleichzeitiges Ablesen der beiden Enden bestimmt werden. Wegen der Relativität der Gleichzeitigkeit wird unmittelbar einsichtig, dass die so gemessene Länge vom Bezugssystem abhängig ist. Eine genauere Analyse ergibt, dass ein sich bewegender Stab als verkürzt gemessen wird. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass hier weder eine reale, »physikalische« Verkürzung (der Stab wird nicht zusammengepresst) noch eine »optische Täuschung« vorliegt. Es liegt ein objektives Resultat vor, das jedoch nicht absolut ist.
Führt man die hier skizzierten Analysen quantitativ durch, so erhält man folgende Beziehungen:
Relativität der Gleichzeitigkeit:
Zwei in gleichzeitige Ereignisse, deren in
gemessene Koordinatendifferenz
beträgt, weisen in
eine zeitliche Koordinatendifferenz
auf.
Zeitdilatation:
Dabei ist die in
gemessene Zeit (etwa eine Periode zwischen
zwei aufeinanderfolgenden Ticks einer Uhr) und
die in
gemessene Zeit für diesen Vorgang. Wegen
dauert der Vorgang aus der Perspektive des
Inertialsystems
folglich länger als aus der Perspektive des
Inertialsystems
(in welchem die ins Auge gefasste Uhr ruht).
Längenkontraktion:
Dabei ist die im mitbewegten Inertialsystem
gemessene Länge des Stabes (auch Ruhelänge
genannt).
ist die in
gemessene Länge dieses Stabes. Wegen
ist die gemessene Länge kleiner als die
Ruhelänge; der Stab erscheint verkürzt. Setzt man die oben besprochenen Effekte
der speziellrelativistischen Raum-Zeit-Struktur zusammen, so erhält man
schliesslich die gesuchten Transformationsbeziehungen zwischen den Koordinaten
eines Ereignisses im Inertialsystem
und den Koordinaten
desselben Ereignisses in
(man nimmt hierbei an, dass die Ursprünge
beider Systeme zur Ursprungszeit
koinzidieren). Diese werden
Lorentz-Transformationen genannt und lauten (in drei Dimensionen):
Aus den Lorentz-Transformationen folgt unmittelbar, dass der Ausdruck
invariant gegenüber
einem Wechsel des Inertialsystems ist. Dies folgt auch unmittelbar aus dem
Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, da die Ausbreitung einer Lichtwelle vom Ursprung
zur Zeit
beschreibt. Verzichtet man auf die Koinzidenz
der Ursprünge beider Systeme für
, so muss man in
(8) zu Koordinatendifferenzen
, etc.
übergehen.
Man beachte die
Analogie zur Geometrie der ebenen Fläche. Der Abstand zwischen zwei Punkten ist gegeben durch:
falls ein kartesisches
Koordinatensystem zugrunde gelegt wird. Auch dieser Ausdruck ist forminvariant
beim Übergang von einem kartesischen zu einem anderen kartesischen
Koordinatensystem. Durch die Existenz eines gegenüber
Koordinatentransformationen invarianten Abstands erhält die Fläche eine
geometrische Struktur, die x und y verknüpft. Analog erhält durch die Existenz eines
gegenüber Koordinatentransformationen invarianten Ereignisintervalls die Raum-Zeit eine geometrische Struktur und
wird zur Raumzeit. Die räumlichen und zeitlichen Koordinaten sind nun im
Unterschied zur klassischen Galilei-Raum-Zeit miteinander verknüpft! Da die
speziellrelativistische Raumzeit eine geometrische Struktur besitzt, kann sie
flach oder gekrümmt sein. In der Allgemeinen Relativitätstheorie lernt man, dass
die Raumzeit genau dann flach ist, wenn keine Materie vorhanden ist, also ein
leeres Universum vorliegt, so wie wir es hier idealisierend angenommen haben.
In der galileiischen Raum-Zeit machen derartige Begriffe keinen Sinn. Dort
könnte im Prinzip der Raum gekrümmt sein, nicht aber die Raum-Zeit.
Raumzeit-Diagramme dienen auch in der Speziellen Relativitätstheorie zur
Veranschaulichung von Bewegungen. Sie werden hier Minkowski-Diagramme genannt.
Im Unterschied zur klassischen Kinematik repräsentieren sie darüber hinaus eine
geometrische Struktur.
Aus den
Lorentz-Transformationen lassen sich durch eine einfache Rechnung die
Additionstheoreme gewinnen, welche die Transformation von Geschwindigkeiten
beschreiben. Bewegt sich ein Körper relativ zum Inertialsystem mit der Geschwindigkeit
, so hat er im
Inertialsystem
die Geschwindigkeit
:
Dabei wurde wieder
angenommen, dass sich relativ zu
mit der Geschwindigkeit
bewegt. Der in der Speziellen
Relativitätstheorie oft verwendete Gammafaktor ist eine Abkürzung für
. Die Geschwindigkeiten
addieren sich also nicht einfach wie in der klassischen Galilei-Raum-Zeit.
Weitere wichtige kinematische Effekte sind der relativistische Doppler-Effekt
sowie die relativistische Aberration.
3 Kovariante Formulierung
Die mathematische Struktur
der relativistischen Raumzeit wird durch den Tensorkalkül transparent. Im
vorigen Abschnitt wurde gezeigt, dass das Ereignisintervall invariant unter Koordinatentransformationen,
die von einem Inertialsystem in ein anderes führen, ist. Anstelle von (8)
können wir dieses kurz schreiben als
wobei der vierdimensionale Ereignisvektor und
die sogenannte Minkowski-Metrik
ist. Man beachte die Einsteinsche
Summenkonvention (über doppelt auftretende Indizes ist zu summieren). Aus der
Invarianz von
gegenüber einer Transformation von einem
Inertialsystem in ein anderes folgt sofort:
d. h. die Minkowski-Metrik hat in allen Inertialsystemen die gleiche Gestalt.
Die verdimensionalen
Ereignisvektoren transformieren sich gemäss den
Lorentz-Transformationen (der Einfachheit halber beschränken wir uns auf
Transformationen zwischen Inertialsystemen, deren Ursprünge zur Zeit
koinzidieren; ansonsten müssten anstatt
die Intervalle
betrachtet werden):
wobei die
Transformationsmatrix direkt aus den Lorentz-Transformationen
(4)-(7) abgelesen werden kann. Man bezeichnet nun jede vierkomponentige Grösse
, deren
Komponenten sich gemäss (13) transformieren, als kontravarianten Vierervektor.
Entsprechend bezeichnet man Grössen
mit 2 Indizes, welche sich wie ein Produkt
zweier kontravarianter Vektoren transformieren, also:
als kontravariante
Tensoren zweiter Stufe. Die Verallgemeinerung auf kontravariante Tensoren n-ter Stufe erfolgt sinngemäss. Invarianten unter
Transformationen von einem Inertialsystem in ein anderes wie etwa das
Ereignisintervall bezeichnet man als Skalare oder Tensoren
nullter Stufe. Der Tensorbegriff lässt sich auch für beliebige
Koordinatentransformationen einführen. Man muss dann anstelle von
den infinitesimalen Ereignisvektor
betrachten. Grössen, die sich wie der
infinitesimale Ereignisvektor oder wie Produkte desselben transformieren, sind
dann kontravariante Tensoren. In der Allgemeinen Relativitätstheorie werden
solche beliebigen Koordinatentransformationen ausgiebig verwendet; hier aber
genügt es, sich mit Inertialsystemen zu befassen. Man führt auch kovariante
Tensoren ein: Diese transformieren sich wie der Gradient eines Skalars oder
Produkte desselben. Für einen kovarianten Vektor
etwa gilt:
wobei die Inverse der Lorentz-Transformationsmatrix
ist.
Man kann zeigen, dass die Metrik ein kovarianter Tensor zweiter Stufe ist, der zudem für Transformationen von einem Inertialsystem in ein anderes die Besonderheit besitzt, dabei seine Komponenten nicht zu ändern, also
mit . Beziehung
(16) eröffnet eine weitere Möglichkeit, die Transformationsmatrix
und damit die Lorentz-Transformationen
abzuleiten.
Man kann zeigen, dass Summen von Tensoren gleicher Stufe wieder Tensoren derselben Stufe sind. Tensoren verschiedener Stufen lassen sich multiplizieren, und man erhält einen Tensor, dessen Stufe gleich der Summe der Stufen der Faktoren ist (Tensoralgebra). Man kann auch Ableitungen von Tensoren definieren (kovariante Ableitung, Tensoranalysis). Bei der in der Speziellen Relativitätstheorie üblichen Beschränkung auf Inertialsysteme reduziert sich die kovariante Ableitung auf die gewöhnliche Ableitung.
Der Vorteil der Verwendung des Tensorkalküls in der Relativitätstheorie ist folgender. Tensoriell formulierte Gleichungen sind automatisch in allen Koordinatensystemen gültig, wenn sie in einem einzigen gültig sind. Dies folgt sofort aus dem Transformationsverhalten von Tensoren. Man nennt derart formulierte Gleichungen auch kovariant formulierte.
Wir haben hier den Tensorbegriff pragmatisch eingeführt. Mathematisch ist ein Tensor nichts anderes als eine multilineare Abbildung vom Raum der Vektoren in die reellen Zahlen. Dies soll an dieser Stelle jedoch nicht vertieft werden (Tensor).
4 Relativistische Dynamik
Zwei Aufgaben stellen sich: Zum einen ist die kovariante Formulierung des Newtonschen Kraftgesetzes zu finden, zum anderen Erhaltungssätze. Beginnen wir mit letzterem.
Aus der Newtonschen
Mechanik, die für kleine Geschwindigkeiten weiterhin gültig sein muss, wissen
wir, dass der Impuls in einem abgeschlossenen System erhalten ist.
Ein einfaches Gedankenexperiment zeigt sofort, dass dies für beliebige
Geschwindigkeiten nicht mehr gelten kann: Man lasse eine Kugel der Masse
mit der Geschwindigkeit
senkrecht gegen eine im Inertialsystem
ruhende Wand prallen (siehe [20]Abb. 3). Die Kugel möge eine Strecke
in die Wand eindringen und dann zur Ruhe
kommen. Die Eindringtiefe
ist ein Mass für den Impuls der Kugel.
Anschliessend betrachte man diesen Vorgang im System
, welches sich
mit der Geschwindigkeit
parallel zur Wand bewege. Auf Grund der
Additionstheoreme ist dann die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Wand
relativ zu
gegeben durch:
. Da senkrecht
zur Bewegungsrichtung keine Lorentz-Kontraktion stattfindet, beträgt auch die in
gemessene Eindringtiefe
. Folglich
konstatiert
die gleiche Impulskomponente senkrecht zur
Wand wie
. Da jedoch die
entsprechende Geschwindigkeitskomponente
ungleich
ist, kann die Masse nicht in beiden Systemen
die gleiche sein (sonst würde sich das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit
ändern).
Der relativistische
Impuls kann also nicht lauten. Wir machen nun folgenden Ansatz für
den relativistischen Impuls:
, lassen also
eine Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse zu. Das ist die einfachste Verallgemeinerung
des Newtonschen Impulses. Man kann nun zeigen, dass die Gültigkeit der
Impulserhaltung (mit obigem Ansatz) in allen Inertialsystemen (das fordert das
Relativitätsprinzip) impliziert, dass
folgende Gestalt hat:
Dabei ist die Ruhemasse. Damit ist noch nicht die
Impulserhaltung bewiesen, diese muss experimentell überprüft werden. Dies ist
aber in hervorragender Übereinstimmung mit der Theorie gelungen.
Die Raumzeit-Struktur
der Speziellen Relativitätstheorie erfordert die Abhängigkeit der Masse von der
Geschwindigkeit nach Massgabe von (17) (falls, wie experimentell bestätigt
worden ist, der daraus konstruierte relativistische Impuls in allen Inertialsystemen erhalten ist). Man
beachte, dass dieser relativistische Dreierimpuls
(»Dreier-«, weil er drei Komponenten besitzt)
kein Vierervektor ist. Man kann aber aus ihm einen solchen konstruieren.
Versuchen wir, einen Vierervektor zu bauen, dessen Komponenten
enthalten. Dann können wir nämlich ein Lemma
der Tensorrechnung anwenden, welches besagt, dass aus der Erhaltung einer
Komponente eines Vierervektors in allen Inertialsystemen die Erhaltung
sämtlicher Komponenten dieses Vektors folgt. Aus der Erhaltung von
in allen Inertialsystemen folgt dann die
Erhaltung dieses ganzen Vektors. Das aber bedeutet, dass auch die vierte
Komponente dieses Vierervektors erhalten sein muss. Wir erhalten also
automatisch einen weiteren Erhaltungssatz.
Offensichtlich ist ein Vierervektor (
ist die sog.
Eigenzeit; man stelle sich vor, dass die Bahnkurve des Teilchens in der Raumzeit
durch
parametrisiert ist:
).
Multiplikation mit der Ruhemasse
, die ein
Skalar ist, ergibt wieder einen Vierervektor. Dessen räumliche Komponenten sind
genau diejenigen von
! Definieren
wir also als Viererimpulsvektor:
Nach oben Gesagtem
folgt aus der Erhaltung des relativistischen Dreierimpulses die Erhaltung von und damit von
. Die
relativistische Masse ist also erhalten. Wie können wir diese interpretieren?
Entwickeln wir den Ausdruck (17) für die relativistische Masse bis zur zweiten Ordnung, so erhalten wir:
Der zweite Summand ist
die kinetische Energie dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. In
zweiter Ordnung ist die relativistische Masse also gleich der Ruhemasse plus
kinetische Energie dividiert durch . Zusätzliche
Energie scheint also einen zusätzlichen Massenbeitrag zu liefern, und zwar
gemäss
. Postulieren
wir also mit Einstein:
Die relativistische
Energie ist erhalten, falls die relativistische Masse erhalten ist. Das ist
wie wir oben sahen der Fall, falls der relativistische Dreierimpuls erhalten
ist. Ferner sehen wir, dass relativistischer Dreierimpuls und relativistische
Energie dividiert durch c einen Vierervektor
bilden. Wir können nämlich schreiben: . Dieser
Vierervektor heisst auch Energie-Impuls-Vektor. Damit ist auch das
Transformationsverhalten von Impuls und Energie beschrieben.
Herzstück der Newtonschen Mechanik ist das Konzept der Kraft. Kennen wir diese sowie den Anfangszustand, so sind wir zumindest theoretisch in der Lage, den Zustand eines Systems zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu berechnen. Gibt es etwas Analoges in der relativistischen Mechanik?
Definieren wir folgenden Vierervektor:
dabei sei die Weltlinie des Teilchens, parametrisiert
durch die Eigenzeit. Falls wir
kennen, können wir mit Hilfe von (21) die
Bewegung des Teilchens bestimmen. Wir nennen
die relativistische Viererkraft und fragen
uns, wie sie bei gegebener physikalischer Situation bestimmt werden kann. Das
ist analog zur klassischen Physik, wo ja auch erst unabhängig vom zweiten
Newtonschen Axiom gegebene Kraftgesetze aus diesem ein echtes Gesetz machen.
Die relativistische
Viererkraft kann nun aus der Kenntnis der Newtonschen Kraft bestimmt werden.
Hierzu geht man einfach ins mitbewegte Inertialsystem. Dort gilt wegen , wobei
die Newtonsche Kraft ist, die in diesem
Inertialsystem auf das Teilchen wirken sollte. Die Rücktransformation ins
ursprüngliche Inertialsystem ergibt dann
Definieren wir die
relativistische Dreierkraft als
, so lässt sich
das auch schreiben als:
Die relativistische
Dreierkraft, die natürlich kein Vierervektor ist (wohl aber ein Dreiervektor
bezüglich Ortstransformationen) ist also bis auf einen Gammafaktor gleich dem
räumlichen Teil der Viererkraft. Wir sind nun in der Lage, diese zu
interpretieren. Aus (23) und dem Zusammenhang zwischen Viererkraft und
Newtonscher Kraft folgt nämlich . Das kann aber
wie folgt geschrieben werden:
. Folglich ist
die relativistische Dreierkraft für die geleistete Arbeit massgeblich; der
Energieinhalt eines Körpers, an welchem die Arbeit
verrichtet wurde, erhöht sich um dieses
. Mithin ist
die relativistische Dreierkraft die richtige relativistische Verallgemeinerung
der Newtonschen Kraft
. Sie ist kein
Vierervektor, wohl aber der räumliche Teil eines solchen, falls man sie noch
mit einem Gammafaktor multipliziert. Im mitbewegten Inertialsystem sind
übrigens der räumliche Teil der Viererkraft
, die
relativistische Dreierkraft
und die Newtonsche Dreierkraft
exakt gleich.
5 Elektrodynamik
Die
Maxwell-Gleichungen gelten in allen Inertialsystemen, sind also bereits
Lorentz-invariant. Allerdings sind sie in der üblichen Form noch nicht manifest
kovariant. Wir wissen noch nicht, wie sich die elektrischen und magnetischen
Felder transformieren. Um dieses Transformationsverhalten aufzufinden, und um
die Maxwell-Gleichungen kovariant zu formulieren, versuchen wir, sie in die
Form einer Tensorgleichung zu bringen. Hierzu fassen wir die Ladungsdichte und die elektrische Stromdichte
zu einem Vierervektor
zusammen (dass dies
wirklich ein Vierervektor ist, folgt unter Annahme der Invarianz der
elektrischen Ladung aus dem Transformationsverhalten der Komponenten).
Anschliessend definiert man eine Matrix wie folgt:
wobei die und die
die Komponenten der magnetischen bzw.
elektrischen Feldstärke sind.
Mit diesen Definitionen können die Maxwell-Gleichungen wie folgt formuliert werden:
Da auf den rechten
Seiten dieser Gleichungen jeweils kontravariante Vierervektoren stehen, muss ein kontravarianter Tensor zweiter Stufe sein.
Damit liegt sein Transformationsverhalten und das der elektrischen und
magnetischen Felder fest. Man sieht, dass eine allgemeine Lorentz-Transformation
die elektrischen und magnetischen Felder »mischt«, d.h. ein rein elektrisches
Feld (z.B. im mitbewegten Inertialsystem einer Ladung) kann in einem anderen
Inertialsystem magnetische Felder hervorrufen (in demjenigen System, relativ zu
dem sich diese Ladung bewegt; das ist ein bereits bekanntes Phänomen).
Magnetische und elektrische Felder erscheinen nicht länger als zwei
verschiedene Felder, sondern repräsentieren ein einziges elektromagnetisches
Feld. Dies kommt durch die kovariante Formulierung deutlich zum Ausdruck; die
klassische Formulierung verschleierte diesen Zusammenhang.
6 Bedeutung der Speziellen Relativitätstheorie und ihre Grenzen
Die Spezielle Relativitätstheorie setzt gleichsam den Rahmen, in welchen sich andere Theorien einzufügen haben (falls wir die Gravitation vernachlässigen). Eine physikalische Theorie muss nämlich Lorentz-kovariant formuliert werden und den Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie Rechnung tragen. So dürfen etwa keine Überlichtgeschwindigkeiten auftreten. Man kann also zu Recht der Speziellen Relativitätstheorie den Rang einer tragenden Säule der modernen Physik zusprechen.
Die kovariante Formulierung physikalischer Theorien hat viele wichtige Erkenntnisse zutage gefördert. Neben dem oben bereits erwähnten Zusammenhang zwischen Masse und Energie und der Wesensverwandtschaft von elektrischem und magnetischem Feld sind dies beispielsweise die Beziehung zwischen Teilchen und Antiteilchen (Dirac-Theorie) oder unser Verständnis von Spin und magnetischem Moment. Zweifellos hat der Kovarianzgedanke die modernen Eichtheorien wesentlich stimuliert.
Die Spezielle Relativitätstheorie ist eine Theorie der flachen Raumzeit. Während sich die anderen Wechselwirkungen im Rahmen dieser Theorie beschreiben liessen (mittels des hier geschilderten Kraftkonzeptes), gelang dies bei der Gravitation nicht. Nach mehreren Jahren erfolglosen Versuchens fand Einstein schliesslich einen anderen Weg: Die Vorstellung einer flachen Raumzeit wurde fallengelassen. Materie krümmt die Raumzeit, es gibt keine endlich ausgedehnten Inertialsysteme mehr, sondern nur noch lokale (die sich »frei fallend« bewegen). In diesen gilt dann die Spezielle Relativitätstheorie, und in diesen ist die Gravitation »wegtransformiert«. Dies ist der Inhalt des Äquivalenzprinzips und führt zur Allgemeinen Relativitätstheorie.
Allerdings ist die Forschung hier noch nicht zu einem Abschluss gekommen. Die Vereinigung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit der Quantentheorie steht noch aus (Quantengravitation). Quantenfeldtheorien auf gekrümmtem Hintergrund sind bereits erfolgreich konstruiert worden, aber auf dem Gebiet der Quantisierung der Gravitation selbst ist man bisher nicht über Ansätze hinausgekommen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Quantengravitation auch unsere Vorstellung über die flache Raumzeit und damit die Spezielle Relativitätstheorie modifiziert (Modifikationen sind insbesondere ab der Planck-Skala zu erwarten).
Literatur:
W. Rindler: Essential Relativity, Springer-Verlag, 1977.
A.P. French: Special Relativity, New York, 1968.
N.D. Mermin: Space and Time in Special Relativity, New York, 1968.
Spezielle
Relativitätstheorie 1: Gleichzeitigkeit in aus der Perspektive von S.
Der Kasten mit den beiden
-Uhren bewegt
sich gegenüber
mit v nach rechts.
In der Mitte gehen zwei Synchronisationssignale ab.
Spezielle
Relativitätstheorie 2: Eine -Lichtuhr aus
der Perspektive von S; Lichtweg des in der
-Lichtuhr hin-
und herpendelnden Photons, von
aus gesehen.
Spezielle
Relativitätstheorie 3: Gedankenexperiment zur Impulserhaltung und
relativistischen Masse. Die Kugel trifft mit der Geschwindigkeit frontal auf eine Wand und dringt eine Strecke
in diese ein.
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