Festkörperphysik
Magnetische Flüssigkeiten bestehen aus kolloidal suspendierten kleinen Teilchen ferromagnetischer Substanzen oder Ferrimagnetika (Durchmesser < 10 nm) in einer Trägerflüssigkeit. Sie verhalten sich makroskopisch wie echte, nicht-newtonsche Flüssigkeiten mit hoher magnetischer Suszeptibilität ( ³ 1). Das gilt für Zeitskalen von mehr als 10-6 s und Längenskalen von mehr als 10-7 m. Magnetische Flüssigkeiten vereinigen normale rheologische Eigenschaften mit starken magnetischen Kraftwirkungen auch schon in schwachen Magnetfeldern. Solche kolloidalen Flüssigkeiten wurden erstmals 1965 von S. Papell hergestellt, um Bedürfnisse der Raumfahrttechnik zu befriedigen (Fluidtransport ohne mechanisch bewegte Pumpen, vakuumdichte Durchführungen). Es gelang Papell, sehr kleine Magnetitteilchen durch Anlagerung oberflächenaktiver organischer Kettenmoleküle dauerhaft gegen Koagulation zu stabilisieren. Die Teilchen müssen so klein sein, damit sie weder im Schwerefeld noch in inhomogenen Magnetfeldern oder durch gegenseitige Anziehung merklich sedimentieren oder koagulieren. Das bedingt bei Raumtemperatur einen maximalen Durchmesser von d » 10 nm, damit die thermische Energie die Wirkung der genannten Kräfte übersteigt. Magnetisch gesehen, hat man es also mit Einbereichsteilchen zu tun. Da sie in der Trägerflüssigkeit frei drehbar sind, verhalten sie sich superparamagnetisch (Superparamagnetismus). Die eingebürgerte Bezeichnung Ferrofluide ist also unglücklich gewählt.
Für die Herstellung
gibt es im wesentlichen drei Methoden: Entweder zerkleinert man makroskopische
ferro- oder ferrimagnetische Stoffe in einer Kugelmühle bis auf die gewünschte
Teilchengrösse. Dabei müssen Trägerflüssigkeit (Wasser, Kohlenwasserstoffe, Öle,
Ester usw.) und oberflächenaktive Substanzen (Ölsäure, Phosphorsäurederivate,
Polyamine usw.) in geeigneter Konzentration, bei bestimmten
Zerkleinerungsgeraden und bei bestimmten Temperaturen zugesetzt werden.
Andernfalls koagulieren die Teilchen bereits während der Herstellung durch
magnetische oder Van-der-Waals-Kräfte. Eine alternative Herstellungsmethode ist
die Synthese der Teilchen durch Fällen aus geeigneten Salzlösungen (Beispiel: 8
NaOH + 2 FeCl3
+ FeCl2 Fe3O4 + 8 NaCl + 4 H2O), ebenfalls unter geeignet dosierter Zugabe
von Trägerflüssigkeit und oberflächenaktiven Substanzen. Das Ergenis sind mehr
oder weniger kugelförmige Teilchen mit einer relativ breiten Grössenverteilung
(siehe [12]Abb. 1). Ihre Volumenkonzentration in
der Trägerflüssigkeit kann bis zu 10 % betragen. Das entspricht bei
Magnetitteilchen einer Sättigungsmagnetisierung der Flüssigkeit von etwa 50 kA
/ m (zum Vergleich: reines Eisen besitzt eine Sättigungsmagnetisierung von etwa
1 700 kA / m). Man kann heute magnetische Flüssigkeiten mit einem sehr breiten
Eigenschaftsspektrum im Handel erhalten.
Aufgrund der hohen Magnetisierbarkeit der Ferrofluide können schon relativ schwache Magnetfelder grosse hydrodynamische Kräfte hervorrufen. Die magnetische Kraftdichte beträgt
(m0: Induktionskonstante, M: Magnetisierung, H: Magnetfeld), der magnetische Druck
Für M und = 2,5 × 105 A / m, H = 105 A / m und A / m2 ergibt sich (F / V)m » 2,5 × 105 N / m3 und pm » 2,5 × 104 N / m2. Zum Vergleich ist die Schwerkraftdichte (F / V)g = r g einer solchen Flüssigkeit etwa 104 N / m3 und der Schweredruck pg = r gh einer 10 cm hohen Flüssigkeitsschicht 103 N / m2. Ein frei beweglicher Permanentmagnet erfährt in einem Ferrofluid eine Kraft, die ihn in die Mitte des Flüssigkeitsvolumens zieht. Ausserdem erfährt er einen magnetischen Auftrieb, der bestrebt ist, ihn vom Boden des Gefässes gegen die Wirkung der Schwerkraft anzuheben.
Bei Strömungsvorgängen in Ferrofluiden ist die magnetische Kraftdichte (F / V)m in der Navier-Stokes-Gleichung zu berücksichtigen und der magnetische Druck pm in der Bernoulli-Gleichung. Ausserdem muss man die magnetischen Randbedingungen an der Oberfläche der Flüssigkeit beachten. Das führt zu einer Fülle neuer Phänomene, die in normalen, dia- oder paramagnetischen Flüssigkeiten nicht existieren. Beispiele sind der magnetohydrostatische Auftrieb in einem inhomogen magnetisierten Ferrofluid, die Stachel- und Labyrinth-Instabilität der Flüssigkeitsoberfläche usw. Der magnetohydrostatische Auftrieb ist die Kraftwirkung auf ein Fluidelement in einem inhomogenen lokalen Magnetfeld; er kann in der Raumfahrt genutzt werden: Bei Schwerelosigkeit kann er den archimedischen Auftrieb ersetzen, denn er lässt sich durch das magnetische Feld leicht nach Grösse und Richtung verändern.
In der Technik werden
Ferrofluide heute vor allem bei gasdichten oder staubdichten Drehdurchführungen
verwendet (z.B. in Plattenlaufwerken für Rechner), ausserdem zur
Schwingungsdämpfung und Kühlung von Lautsprecherspulen und zur
Bewegungsdämpfung in Schrittmotoren. Die Wirkungsweise dieser Anwendungen ist
aus [13]Abb. 2, [14]Abb. 3 und [15]Abb. 4 ersichtlich. Ferrofluide eignen
sich auch zum dichtefraktionierten Sortieren von Schrott (siehe [16]Abb. 5), als Arbeitsflüssigkeit für
magnetisch gesteuerte Tintenstrahlschreiber, als Transportmedium für
thermomagnetische Wärmekraftmaschinen usw. Doch wurden diese zuletzt genannten
Methoden noch nicht zur Anwendungsreife entwickelt, weil sie in Konkurrenz zu
bereits bewährten und billigeren Verfahren stehen.
In der Medizin gibt es
eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten, die sich jedoch alle noch im
Forschungs- oder Entwicklungsstadium befinden. Da man in die Blutbahn
injizierte Ferrofluide durch äussere Magnetfelder an bestimmten Stellen im
Körper räumlich und zeitlich konzentrieren kann, lassen sie sich zum Beispiel
als Röntgenkontrastmittel oder als Trägersubstanzen für Pharmazeutika benutzen.
Man kann mit ihnen den Blutstrom regulieren, ein Aneurisma isolieren, und man
kann auch einen magnetischen Muskel herstellen (siehe [17]Abb. 6). Erst teilweise gelöst sind
die Probleme der Stabilität der Ferrofluide im Blut und ihrer Wechselwirkung
mit den Blutbestandteilen.
Literatur:
E. Blums, A. Cebers,
M.M. Maiorov, Magnetic Fluids, W. de Gruyter, Berlin, 1997.
R.E. Rosensweig, Ferrohydrodynamics, Cambridge University Press, Cambridge,
1985.
K. Stierstadt, Magnetische Flüssigkeiten - flüssige Magnete, Phys. Blätter 46,
377-382, 1990.
magnetische Flüssigkeiten 1: Kugelförmige Teilchen, wie sie bei der Herstellung magnetischer Flüssigkeiten entstehen.
magnetische Flüssigkeiten 2: Gasdichte Durchführung.
magnetische Flüssigkeiten 3: Lautsprecherspule.
magnetische Flüssigkeiten 4: Schrittmotor.
magnetische Flüssigkeiten 5: Dichtefraktioniertes Sortieren von Schrott.
magnetische Flüssigkeiten 6: Magnetischer Muskel.
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