Atom- und Molekülphysik
Fullerene sind
fussballartige Kohlenstoffgebilde. Wichtig ist, dass es sich hierbei um
graphitartigen Kohlenstoff handelt, während die klassischen
Kohlenstoffmodifikationen Diamant ([43]Abb. 1) und Graphit ([44]Abb. 2) sind. Diamant ist vierbindig
(»sp3-hybridisiert«), und jedes Kohlenstoffatom ist von vier
nächsten Nachbarn umgeben. Diamant ist somit ein Verwandter des Germaniums und
Siliciums, nämlich ein Halbleiter (und zwar ein Halbleiter mit einer so grossen
Energielücke, » 5 eV, dass er zur Klasse der Isolatoren gehört). Graphit ist
schichtartig aufgebaut, die Kohlenstoffatome in einer Schicht sind nur von drei
Nachbarn umgeben, der Kohlenstoff ist hier nur dreibindig (»sp2-hybridisiert«),
das vierte Elektron ist über die ganze Schicht »delokalisiert« und steht für
eine metallähnliche elektrische Leitfähigkeit zur Verfügung.
In grober Näherung kann man sich die Fulleren-Bälle als Graphitkugeln vorstellen. Das bienenwabenartige Kristallgitter einer Graphit-Schicht besteht aus lauter aneinandergereihten Sechsecken. Wenn sie nur Sechsecke enthält, ist eine Schicht eben, doch wenn man einige Sechsecke durch Fünfecke ersetzt, beginnt sie sich zu wölben. Es stellt sich heraus, dass man 12 Fünfecke braucht, um eine geschlossene Struktur zu erhalten. Der kleinste und regelmässigste Fulleren-Ball besteht aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken. Er enthält insgesamt 60 Kohlenstoffatome und bildet das Molekül C60. Der Name Fulleren soll an den Architekten Richard Buckminster Fuller erinnern, der ähnliche Polyederkonstruktionen für seine Kuppelbauten verwandte.
Die Struktur des
Fulleren-Moleküls C60
ist in [45]Abb. 3 dargestellt. Wegen der Krümmung
und wegen der geringen Abmessungen ist Fulleren nicht ganz so metallisch wie
Graphit, es ist aber auch nicht so isolierend wie Diamant. Für die Synthese
dieses Moleküls erhielten Curl, Kroto und Smalley 1996 den Nobelpreis für
Chemie [1].
Ein
Fulleren-Herstellungsverfahren besonderer Art ergab sich bei den Bemühungen,
Substanzen mit ähnlichen Absorptionslinien zu erzeugen, wie sie in der
interstellaren Materie beobachtet werden. Dabei haben Krätschmer und
Mitarbeiter die Fulleren-Synthese in der Bogenlampe entwickelt [2], die es
erlaubt, mit einfachen Mitteln verhältnismässig grosse Mengen von Fulleren zu
erzeugen. Das Krätschmer-Verfahren ist in [46]Abb. 4 skizziert. Zwischen zwei
Graphitelektroden brennt ein stark russender elektrischer Entladungsbogen. Eine
inerte Atmosphäre schützt den Russ vor Oxidation. Im Russ befinden sich neben
anderen Kohlenstoffpartikeln verschiedene Fullerene. Diese können mit
organischen Lösungsmitteln extrahiert und anschliessend chromatographisch
getrennt werden.
Ein Molekül aus 60
Atomen ist bereits ein kleiner Festkörper. Genau genommen ist es ein Cluster,
ein Gebilde, das zwischen Molekül und Festkörper steht. Man kann im C60-Molekül - da es eine
Hohlkugel ist, sollte man vielleicht besser sagen: man kann auf dem C60-Molekül
Festkörperphysik betreiben: Man kann Energiebänder berechnen, Energielücken,
Exzitonen, Korrelationsenergien u.v.a.m. Man kann aber auch die Moleküle zu
einem geordneten Molekülkristall zusammenfügen und so aus lauter
Minifestkörpern einen grossen Festkörper machen. Ein derartiger Molekülkristall
ist in [47]Abb. 5 angedeutet. Natürlich sind die
Wechselwirkungen innerhalb der Minifestkörper (die intramolekularen
Wechselwirkungen) viel grösser als die zwischen den Minifestkörpern (die
intermolekularen Wechselwirkungen). Chemisch gesprochen handelt es sich in
einem Fall um kovalente Bindungen, im anderen um Van-der-Waals-Bindungen.
Diese unterschiedliche Stärke der Wechselwirkungen führt auch zu unterschiedlichen Energieskalen. Elektronische Energien innerhalb des Minifestkörpers liegen im Bereich von einigen 10 eV, im Molekülkristall betragen sie nur einige Zehntel eV. Das bedeutet, dass die Energiebänder im Molekülkristall sehr schmal sind. Die Minifestkörper sind Halbleiter und auch der Molekülkristall ist ein Halbleiter. Aber den Molekülkristall kann man dotieren, und zwar so stark, dass er zum Metall und sogar zum Supraleiter wird.
Geeignete Dotiermittel
sind z.B. die Alkalimetalle. Diese diffundieren in die Lücken zwischen den C60-Molekülen. In der
Halbleiter-Terminologie würde man von interstitiellem Dotieren sprechen.
Ähnlich wie bei leitenden Polymeren und bei Graphit-Einlagerungsverbindungen
wird auch der Ausdruck Interkalieren verwendet. [48]Abb. 6 zeigt die erste Beobachtung der
Supraleitung in kaliumdotiertem Fulleren [3]. Man sieht deutlich, wie der
elektrische Widerstand beim Abkühlen der Probe bei etwa 12 oder 13 K
verschwindet. Inzwischen hat man in Fullerenen bereits supraleitende
Sprungtemperaturen von fast 40 K erreicht. Wenn Müller und Bednorz 1986 nicht
die Hochtemperatur-Supraleitung in Perowskiten entdeckt hätten, bei denen heute
Tc bereits wesentlich über 100 K liegt,
hätte man auch für die Supraleitung in Fullerenen einen Nobelpreis vergeben
können.
Normalerweise gibt es
nur die schwachen Van-der-Waals-Bindungen zwischen den C60-Molekülen im
Fulleren-Kristall. Durch besondere Behandlung (Druck, Dotieren,
Lichteinstrahlung) kann man Fulleren aber auch polymerisieren. Dann bilden sich
kovalente Bindungen zwischen den Molekülen aus [4]. [49]Abb. 7 zeigt eine Fulleren-Kette.
Solche Ketten entstehen gelegentlich in alkalidotiertem Fulleren. Sie zeigen
dann ähnliche elektrische und magnetische Anomalien wie andere eindimensionale
Leiter. So gibt es z.B. Hinweise für Ladungs- und Spindichtewellen.
Da die Fulleren-Bälle
Hohlkugeln sind, liegt es nahe, Atome oder Moleküle in den Hohlraum
hineinzutun. Man spricht dann von endohedralem Dotieren (endohedrale
Fullerene). In C60
kann man vor allem Stickstoff oder Lithium unterbringen, aber bei den höheren
Fullerenen gibt es eine ganze Reihe von endohedralen Verbindungen: Sc@C82, La@C82, Y@C82 etc. (Die Schreibweise
mit dem Klammeraffen »@« hat sich im Zusammenhang mit endohedralen Verbindungen
eingebürgert.) Eines dieser endohedralen Metallofullerene zeigt [50]Abb. 8.
In der organischen
Chemie spielt das Benzol eine grosse Rolle. Benzol ist ein geschlossener Ring
aus dreibindigem Kohlenstoff. Es liegt nun nahe, eine analoge Chemie auf
Kohlenstoff-Kugeln aufzubauen, etwa indem man eine Bindung auf der Kugel öffnet
und daran andere organische Komponenten anhängt. In der Tat gibt es heute
bereits eine Vielzahl von Fulleren-Derivaten (die Datenbanken verzeichnen mehr
als 10 000 sogenannte Fulleren-Spezies). Als Beispiel eines Fulleren-Derivats
ist in [51]Abb. 9 ein Fulleren-Azo-Kronenether
gezeigt.
Das Fulleren mit der
höchsten Symmetrie ist C60.
Aber es gibt zahlreiche grössere Fullerene: C70, C82, C84, .... C240, ... [52]Abb. 10 zeigt das eiförmige C70,
das nicht wie ein europäischer, sondern eher wie ein amerikanischer Fussball
aussieht. Man kann in Gedanken - und auch in der Realität - die Ellipsoide
immer länger und länger machen und gelangt so schliesslich zu den
Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Carbon Nanotubes). Diese können bei Durchmessern von
nur einigen Nanometern mehrere Mikrometer oder gar Zentimeter lang werden ([53]Abb. 11).
Seit der ersten Synthese sind über 15 000 Einzelveröffentlichungen über Fullerene erschienen, darüber hinaus gibt es zahlreiche Übersichtsarbeiten und Monographien zu diesem Thema. Einen guten Überblick über das Gebiet kann man sich auch durch die Konsultation der Proceedings der Winterschulen in Kirchberg verschaffen [5].
Literatur:
[1] H.W. Kroto, J.R.
Heath, S.C. O\'Brien, R.F. Curl, R.E. Smalley: Nature 318, 162 (1985).
[2] W. Krätschmer, L.D. Lamb, K. Fostiropoulous, D. Huffmann: Nature 347,
354 (1990).
[3] A.F. Hebard, M.J. Rosseinsky, R.C. Haddon, D.W. Murphy, S.H. Glarum, T.T.M.
Palstra, A.P. Ramirez, A.R. Kortan: Nature 350, 600 (1991).
[4] P.W. Stephens, G. Bortel, G. Faigel, M. Tegze, A. Janossy, S. Pekker, G.
Oszlanyi, L. Forro: Nature 370, 636 (1994).
[5] Kuzmany, J. Fink, M. Mehring und S. Roth, (Hrsgb.): Electronic
Properties of Fullerenes, Springer, Heidelberg 1993.H. Kuzmany, J. Fink, M.
Mehring und S. Roth, (Hrsgb.): Progress in Fullerene Research, World
Scientific, Singapore 1994.H. Kuzmany, J. Fink, M. Mehring und S. Roth,
(Hrsgb.): Physics and Chemistry of Fullerenes and Derivatives, World
Scientific, Singapore 1995.
H. Kuzmany, J. Fink, M. Mehring und S. Roth, (Hrsgb.): Fullerenes and
Fullerene Nanostructures, World Scientific, Singapore 1996.
H. Kuzmany, J. Fink, M. Mehring und S. Roth, (Hrsgb.): Molecular
Nanostructures, World Scientific, Singapore 1998.
Fullerene 1: Kristallstruktur des Diamants. Diamant besteht aus vierbindigem Kohlenstoff und ist ein Halbleiter mit grosser Bandlücke (Isolator).
Fullerene 2: Kristallstruktur des Graphits. Die Kohlenstoffatome in den Schichten sind dreibindig, das vierte Elektron der Aussenhülle der Kohlenstoffatome steht für metallähnliche Leitfähigkeit entlang der Schicht zur Verfügung.
Fullerene 3: Struktur des Fulleren-Moleküles C60. Das Gebilde ist fast kugelartig mit einem Durchmesser von ungefähr 10 Å (1 Nanometer). Wenn man die Kohlenstoff-Atome durch Kugeln mit dem Van-der-Waals-Radius darstellt, bleibt im Innern ein Hohlraum von etwa 7 Å Durchmesser.
Fullerene 4: Fulleren -Synthese nach Krätschmer: russender Entladungsbogen zwischen Graphitelektroden.; 1 positive Graphitelektrode, 2 negative Graphitelektrode, 3 Pumpe, 4 Einlass für Inertgas, 5 Plasmaregion, 6 Kühlwasser ein, 7 Kühlwasser aus, 8 Reaktionskammer, 9 Stromquelle, 10 Reaktionsraum.
Fullerene 5: Anordnung von C60-Molekülen zu einem Molekülkristall.
Fullerene 6: Supraleitung in alkalidotiertem Fulleren [4]. Der spezifische Widerstand ist über der Temperatur aufgetragen.
Fullerene 7: Kette eines Fulleren-Polymers.
Fullerene 8: Endohedrales Metallofulleren.
Fullerene 9: Fulleren-Azo-Kronenether als Beispiel eines der zahlreichen Fullerenderivate.
Fullerene 10: C70, ein Fulleren, das nicht wie ein europäischer, sondern eher wie ein amerikanischer Fussball aussieht.
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