Festkörperphysik
1 Definition
Die Spindichtewelle (spin density wave, SDW) ist ein antiferromagnetischer Grundzustand von Metallen, in welchem die Dichte der Leitungselektronenspins räumlich moduliert ist. In gewöhnlichen Antiferromagneten wie MnF2 sitzen einzelne magnetische Momente entgegengesetzter Orientierung stationär auf zwei kristallographischen Untergittern. Die SDW hingegen ist ein Vielteilchenphänomen mit einem itineranten Magnetismus, der nicht fest an das Kristallgitter gekoppelt ist.
SDW werden in Metallen und Legierungen beobachtet, häufig mit Übergangsmetallen; am bekanntesten sind Chrom und seine Verbindungen. Die SDW tritt auch als Grundzustand stark anisotroper Systeme auf wie eindimensionalen organischen Leitern.
Analog zur magnetischen Ordnung bei Antiferromagneten unterhalb der Néel-Temperatur wird das Elektronengas für Temperaturen kleiner einer Ordnungstemperatur instabil und geht in den kollektiven Ordnungszustand des itineranten Antiferromagneten über (Phasenübergang zweiter Ordnung, Phasenübergänge und kritische Phänomene); dies ist ein Zustand gebrochener Translationssymmetrie. Die Ursache der Instabilität des Elektronengases beim Übergang in den SDW-Grundzustand ist das sogenannte nesting der Fermi-Fläche.
2 Theorie
In einem Metall ist die Dichte der Leitungselektronen mit Spinrichtung und mit Spinrichtung überall identisch; die räumliche Variation der gesamten Ladungsdichte spiegelt die Periodizität des Kristallgitters wider. Bei Ausbildung einer SDW ist diese Translationsinvarianz nicht mehr gegeben: die Ladungsdichte hat nun eine sinusförmige Modulation
wobei die Amplitude und der Wellenvektor der SDW ist (siehe [21]Abb. 1). Die Wellenlänge der SDW ist durch die Fermi-Fläche der
Leitungselektronen gegeben und im allgemeinen nicht ein Vielfaches (d.h.
kommensurabel mit) der Gitterperiode ; das Verhältnis
kann sich mit der Temperatur, dem äusseren
Druck, der Dotierung oder anderen Parametern ändern. Die Spindichte ist die Differenz zwischen und :
Die Polarisation kann
parallel zur Ausbreitungsrichtung liegen (longitudinale SDW) oder senkrecht zu
ihr (transversale SDW). Zudem sind zirkulare Strukturen möglich, d.h. eine SDW
mit helixförmiger Änderung der Magnetisierungsrichtung (siehe [22]Abb. 2).
In der Hartree-Fock-Näherung wird der paramagnetische Grundzustand eines homogenen Elektronengases instabil, und es bildet sich eine SDW aus. Diese allgemeine Instabilität wird zwar durch die Abschirmung der Austauschwechselwirkung (Austausch) und der Coulomb-Barriere unterdrückt. Auf Grund einer besonders geformten Bandstruktur kann in einigen Metallen allerdings der SDW-Zustand doch auftreten. In gewissem Sinne kann man die SDW als eine Eigenschaft einer speziellen Topologie der Fermi-Fläche bezeichnen.
Für das Verständnis
der SDW ist das nesting der Fermi-Fläche von grundsätzlicher Bedeutung.
Hierunter versteht man die Eigenschaft, im reziproken (Impuls-) Raum Bereiche
der Fermi-Fläche mit Elektron- und Lochcharakter durch einen Wellenvektor ineinander überführen zu können. Am
offensichtlichsten ist der Fall in einer Dimension mit einer Fermi-Fläche aus
zwei parallelen Ebenen bei (siehe [23]Abb. 3). In zwei oder drei Dimensionen
ist ein vollständiges nesting durch einen einzigen -Vektor nicht
mehr möglich, doch kann es verschiedene Teile der Fermi-Fläche geben, die durch
Translation um unterschiedliche mehr oder weniger gut ineinander überführt
werden; im Fall von Cr beispielsweise würfelförmige Gebilde (siehe [24]Abb. 4).
Die
Austauschwechselwirkung zwischen zwei Elektronen mit parallelem Spin reduziert
die Coulomb-Wechselwirkung auf Grund des Pauli-Prinzips. Dies führt zu einem
Energiegewinn bei der Ausbildung einer SDW, die ja eine Modulation der Dichte
der Elektronenspins gemäss Gl. (2) bedeutet. Aufgewendet werden muss hierfür
allerdings kinetische Energie. Im Bild von Energiebändern öffnet sich eine
Energielücke an der Fermi-Kante (siehe [25]Abb. 5), die mit abnehmender
Temperatur in der gleichen Weise wie die Magnetisierung (siehe [26]Abb. 6) zunimmt. Der elektrische
Widerstand unterhalb zeigt deshalb halbleitende Eigenschaften. Im
Gegensatz zu den lokalen Spins eines Antiferromagneten ist die SDW nicht fest mit
dem Gitter verbunden, sondern frei; sie hängt höchstens an Fehlstellen im
Kristall. Neben dem Einteilchentransport kann die SDW deshalb auch als Ganzes
bewegt werden, wenn ein gewisses elektrisches Schwellfeld überschritten wird,
um die Dichtewellen von Haftzentren loszureissen, oder ein elektrisches
Wechselfeld der passenden Frequenz angelegt wird. Dies ist ein kollektiver
Ladungstransport ähnlich der Supraleitung (siehe [27]Abb. 10).
Es besteht eine gewisse Analogie von SDW und Ladungsdichtewelle (charge density wave, CDW, Ladungsdichtewellensysteme), die ebenfalls eine Instabilität des Elektronengases ist. Wie bei der SDW öffnet sich eine Energielücke an der Fermi-Kante, und der geordnete Zustand ist halbleitend. Allerdings bedeutet die CDW eine Modulation der gesamten Dichte der Leitungselektronen, die einher geht mit einer nicht unbedingt kommensurablen Überstruktur des Kristallgitters.
3 Experimenteller Nachweis
Da sich in der
SDW-Phase nur eine magnetische Überstruktur in den Leitungselektronen ausbildet,
die elektronische Gesamtdichte jedoch unverändert bleibt, ist ein Nachweis
mittels Röntgenstreuung, wie bei CDW-Systemen, nicht möglich. Spin-polarisierte
Neutronenstreuung erlaubt allerdings den eindeutigen Nachweis des magnetischen
Ursprungs der SDW. Aus den Bragg-Reflexen der elastischen Neutronenstreuung
kann der Wellenvektor der Magnetisierungswellen und die Stärke des
magnetischen Moments bestimmt werden. Bei fluktuierenden Feldern
ist inelastische Neutronenstreuung möglich; aus dem dynamischen Strukturfaktor
kann die Magnetisierung ermittelt werden. Die Temperaturabhängigkeit der
Magnetisierung (d.h. des internen magnetischen Feldes) wird durch die
Brillouin-Funktion und die mean-field-Theorie beschrieben (siehe [28]Abb. 6 und [29]Abb. 8).
Die magnetische
Suszeptibilität zeigt die für einen Antiferromagneten typische Anisotropie. Der
Anteil der SDW zur Suszeptibilität verschwindet entlang der leichten
Magnetisierungsrichtung , der
Komponente des Suszeptibiliätstensors parallel zur Polarisationsrichtung der
SDW; senkrecht dazu ist nur sehr schwach temperaturabhängig (siehe [30]Abb. 7). Einen eindeutigen Hinweis auf
die magnetische Ordnung im SDW-Zustand geben antiferromagnetische Resonanzen,
deren Frequenz-, Temperatur- und Winkelabhängigkeiten mittels
Elektronenspinresonanz untersucht werden können. Durch Kernspinresonanz- oder
Mössbauer-Untersuchungen (Mössbauer-Effekt) an den Atomen des Kristallgitters
kann das interne Magnetfeld der SDW bestimmt werden.
Als kollektiver
Ordnungszustand der Leitungselektronen öffnet sich beim Übergang in den
SDW-Grundzustand eine Energielücke an der Fermi-Kante. Abhängig davon, ob sie
sich über die ganze Brillouin-Zone
erstreckt oder das Metall nur Teile der Fermi-Fläche verliert, führt dies zu
einer mehr oder weniger starken Änderung der thermodynamischen Grössen wie der
spezifische Wärme oder thermischen Ausdehnung. Das Öffnen der Energielücke führt auch zu einem Anstieg des elektrischen
Widerstands auf Grund der reduzierten Ladungsträgerdichte
beim Unterschreiten der Ordnungstemperatur . Erstreckt
sich das nesting über die gesamte Fermi-Fläche wie in den eindimensionalen
Systemen, so ist die SDW-Phase isolierend (siehe [31]Abb. 9). Wenn nur ausgewählte -Vektoren die
nesting-Bedingung erfüllen, ist der Transport anisotrop, und man beobachtet
lediglich ein lokales Maximum in unter .
Optische
Untersuchungen erlauben die Energielücke direkt zu bestimmen, da bei die optische Leitfähigkeit stark reduziert ist
(siehe [32]Abb. 10). Die Resonanz bei entspricht der kollektiven Anregung der SDW.
Diese kann auch als Ganzes zum Ladungstransport beitragen, wenn ein angelegtes
Gleichfeld eine Schwelle der Haftung an Störstellen überschreitet.
4 Beispiele
Chrom ist das einzige
reine Metall, das itineranten Antiferromagnetismus zeigt. Ähnlich wie bei a-Mn
und g-Fe
sind hierfür die 3d-Elektronen verantwortlich, im
Gegensatz zu den Lanthaniden und Actinoiden, die den Magnetismus der
lokalisierten f-Elektronen zeigen. Oberhalb des
antiferromagnetischen Übergangs bei TSDW = 311 K existieren in
Cr keine lokalisierten magnetischen Momente. Der Wellenvektor der
antiferromagnetischen Struktur liegt entlang der (100)-Richtung, ist jedoch
inkommensurabel mit dem Kristallgitter (siehe [33]Abb. 4). Die transversale Modulation
der magnetischen Momente , welche ca.
2,8 mB stark sind, geht bei 120 K durch spin-flip in eine
longitudinale Modulation über (siehe [34]Abb. 6).
Unter den
niedrigdimensionalen Metallen dient (TMTSF)2PF6 (TMTSF = Tetramethyltetraselenafulvalen) als Modellsystem
für eine eindimensionale SDW. Im dem Kristall sind die flachen TMTSF-Moleküle
in a-Richtung übereinander gestapelt; entlang der
Stapel, die durch die Anionen wie PF in c-Richtung von einander getrennt sind, ist die
elektrische Leitfähigkeit 3000mal grösser als senkrecht dazu (siehe [35]Abb. 9). Auf Grund der schwachen
Kopplung in b-Richtung zwischen den TMTSF-Ketten
sind die Fermi-Flächen keine Ebenen, sondern leicht gewellt (siehe [36]Abb. 3). Die SDW ist mit m0 = 0,08 mB sehr schwach; sie ist transversal parallel zu b polarisiert und nicht kommensurabel mit dem Gitter.
Literatur:
[1] A.W. Overhauser, Spin Density Waves in an Electron Gas, Physical Review 128, 1437-1452, 1962.
[2] N.I. Kulikov und V.V. Tugushev, Spin-density wave and itinerant antiferromagnetism in metals, Soviet Physics Uspekhi 27, 954-976, 1984.
[3] E. Fawcett, Spin-density-wave antiferromagnetism in chromium, Review of Modern Physics 60, 210-283, 1988.
[4] G. Grüner, Density Waves in Solids, Addison-Wesley, Reading, 1994.
Spindichtewellen 1: Vergleich der gesamten und partiellen Ladungsdichten , , und der Spindichte eines Metalls im normalen und SDW-Zustand.
Spindichtewellen 2: Unterschiedliche Typen von Spindichtewellen: a) transversale SDW, b) longitudinale SDW, c) chirale SDW, d) geneigte SDW und e) ferromagnetische SDW.
Spindichtewellen 3: In einem streng eindimensionalen System besteht die Fermi-Fläche aus zwei parallelen Ebenen (gestrichelte Linien), und der nesting-Vektor ist . Durch Abweichungen von der Eindimensionalität sind die Flächen leicht gewellt, doch ist ein nesting weiterhin möglich.
Spindichtewellen 4: Schnitt durch die schematische Fermi-Fläche von Cr. Die schraffierten Bereiche zeigen die Lochbänder. Es sind zwei typische nesting-Vektoren eingezeichnet.
Spindichtewellen 5: Die im Impulsraum verschobenen Energieniveaus für Elektronen mit Spin und führen zu einer Energieaufspaltung von ; nur der untere Teil ist besetzt.
Spindichtewellen 6: Die Temperaturabhängigkeit der magnetischen Bragg-Reflexe aus Neutronenstreuung an Chrom. Unterhalb TSDW = 311 K bildet sich die SDW; bei TSF = 120 K ordnen sich die Spins um.
Spindichtewellen 7: Die Temperaturabhängigkeit der magnetischen Suszeptibilität von (TMTSF)2PF6. Die leichte Magnetisierungsachse ist entlang der b-Richtung, die harte entlang c.
Spindichtewellen 8: Die Temperaturabhängigkeit der Stärke der SDW in (TMTSF)2PF6. Die experimentellen Daten wurden mit unterschiedlichen Messmethoden ermittelt.
Spindichtewellen 9: Die Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstands in (TMTSF)2PF6 senkrecht und parallel zu den Stapeln. Der Übergang zur halbleitenden SDW-Phase ist bei TSDW = 12 K zu erkennen.
Spindichtewellen 10: Die Frequenzabhängigkeit der optischen Leitfähigkeit eines Metalls in normalem und SDW-Zustand. Ab der Frequenz sind Anregungen über die SDW-Energielücke möglich. Bei beobachtet man eine resonanzartige Mode auf Grund der Haftung der SDW.
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