Astronomie und Astrophysik
1 Einleitung
Die Kosmologie ist
eine ganz besondere Wissenschaft. Ihr Forschungsgegenstand ist die Struktur und
Dynamik des Universums als Ganzes. Definitionsgemäss befasst sie sich mit einem
einzigartigen Objekt und einem einzigartigen Ereignis. Jeder Physiker wäre
unglücklich, müsste er seine Theorien auf ein einzelnes, unwiederholbares
Experiment stützen. Doch es konnte trotzdem eine wissenschaftliche Kosmologie
formuliert werden, weil das beobachtete Universum in seiner grossräumigen
Struktur sehr einfach ist, einfacher als man erwarten konnte. Darüber hinaus
erfährt der Astronom wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit durch die
Beobachtung weit entfernter Objekte etwas über den Kosmos zu früheren Zeiten.
Schwierig ist die Situation natürlich auch deswegen, weil wir, die Beobachter,
mitten in diesem Objekt »Universum« nur einen räumlich und zeitlich begrenzten
Ausschnitt wahrnehmen, von dem wir zwar annehmen, dass er für das Ganze - wenn
es das überhaupt gibt - repräsentativ ist, es aber nicht sicher wissen können.
Der Kosmologe muss also zusätzlich zu den vorhanden Beobachtungen und
Messergebnissen Theorien voraussetzen, um die Beobachtungen zu deuten und neue
Untersuchungen vorzuschlagen. So entsteht ein Modell des Kosmos.
2 Zwei wichtige Entdeckungen
Das moderne Bild vom
Kosmos beruht im wesentlichen auf zwei fundamentalen Beobachtungen: die erste
war die Entdeckung des amerikanischen Astronomen E.P. Hubble, dass sich fast
alle fernen Galaxien von uns weg bewegen, und zum andern auf der Messung eines
kosmischen Strahlungsfeldes im Mikrowellenbereich durch A.A. Penzias und R.
Wilson im Jahre 1964. Hubble fand, dass fast jede Galaxie (ausser einigen sehr
nahen) eine Verschiebung ihrer Spektrallinien zu grösseren Wellenlängen zeigt,
die um so grösser ist, je weiter die Galaxie entfernt ist: (lb: beobachtete, le: ausgesandte
Wellenlänge). Die Erklärung dieser Rotverschiebung z
durch den Dopplereffekt führt zu dem Schluss, dass die Galaxien sich von uns
wegbewegen (Hubble-Fluss). Das Bild der Welt hat sich durch Hubbles Entdeckung
dramatisch verändert: Die Vorstellung einer gleichmässigen, unveränderlichen
Verteilung von Sternen bis in unendliche Tiefen, ein Bild, dem zunächst sogar
Albert Einstein vertraut hatte, musste aufgegeben werden zugunsten der Idee
eines Universums der Entwicklung und Veränderung, wie es das
auseinanderfliegende, expandierende System der Galaxien darstellt. Die zweite
wichtige Entdeckung war die der Hintergrundstrahlung mit der Temperatur K, die der im November 1989 gestartete
NASA-Satellit COBE besonders genau vermessen hat (siehe [4]Abb.1). Sie wird von den meisten
Fachleuten als Hinweis auf einen Anfangszustand angesehen, in dem das Universum
so heiss und dicht war, dass die Atome in ihre Kerne und Elektronen aufgelöst
waren und die Streuung von Photonen an freien Elektronen das thermische
Gleichgewicht zwischen Strahlung und Materie aufrechterhielt. Bemerkenswert ist
die hohe Isotropie dieser Strahlung. Andererseits spiegeln die Anisotropien
Dichteschwankungen von etwa gleicher Amplitude wider, die als Ursachen und
Keime für die beobachteten Strukturen der leuchtenden Materie angesehen werden.
3 Die kosmologischen Modelle
Die Unsicherheiten der astronomischen Messungen lassen Raum für eine ganze Reihe von Modellen, die auch qualitativ verschieden sind. Trotzdem sprechen die Astronomen von einem »Standard-Urknall-Modell« im Sinne einer ganzen Klasse von Modellen, die einige typische Eigenschaften gemeinsam haben: Das Universum hat sich nach einer explosionsartig schnellen Ausdehnung zu Anfang durch eine heisse und dichte Frühphase zum gegenwärtigen Zustand entwickelt. Es ist homogen und isotrop auf grossen Skalen. Strukturen wie Galaxien und Galaxienhaufen haben sich aus anfänglich kleinen Dichteschwankungen durch die Wirkung der Schwerkraft gebildet. Es ist bemerkenswert, wie weit diese einfachen Konzepte tragen. Bis jetzt hat sich keine alternative Theorie gezeigt, die alle Beobachtungen der kosmischen Struktur und Evolution ähnlich gut wie das Standardmodell erklärt.
Die Basis der klassischen kosmologischen Modelle ist die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins, eine Theorie der Schwerkraft, die bis jetzt alle experimentellen Tests glorreich bestanden hat. Es gibt drei grosse Vorzüge der Allgemeinen Relativitätstheorie im Vergleich zur Newtonschen Theorie, besonders im Hinblick auf die Kosmologie: 1. Die Gravitationswirkung einer unendlichen Massenverteilung kann ohne Probleme beschrieben werden. (In der Newtonschen Theorie ist das Gravitationspotential in einem derartigen Fall nicht eindeutig durch die Massenverteilung bestimmt.) 2. Die Theorie hat Lösungen, die als einfache Modelle des Universums angesehen werden können, wie etwa ein abgeschlossener, endlicher Raum ohne Grenze. 3. Die Lichtausbreitung wird im Einklang mit den Experimenten beschrieben.
Die aus der Hintergrundstrahlung erschlossene Gleichförmigkeit der Welt zusammen mit der allgemeinen Expansion legen eine einfache Interpretation in den sog. Friedmann-Lemaître (FL)- Modellen (nach Friedmann (1922) und Lemaître (1927), die zum ersten Mal Lösungen aus Einsteins Gravitationstheorie abgeleitet haben) nahe. Als einfache, hochsymmetrische Lösungen der Theorie sind sie geeignete mathematische Modelle für das gleichmässig expandierende Universum.
Ausgehend vom jetzigen
Zustand lässt sich mit Hilfe der FL-Modelle die Geschichte des Kosmos
theoretisch rekonstruieren. Es werden natürlich wegen der Homogenität der
Modelle nur zeitliche Veränderungen erfasst und schon aus diesem Grund können
die FL-Modelle nur angenähert gültig sein. Aus den Lösungen der FL-Gleichungen
lässt sich entnehmen (siehe [5]Abb. 2), dass der Expansionsfaktor vor einer endlichen Zeit gleich Null war. Bei
Annäherung an diesen Zeitpunkt, beim Rückgang in die Vergangenheit, wachsen
Dichte und Ausdehnungsrate über alle Grenzen. Man kann deshalb die Entwicklung
nicht weiter theoretisch zurückverfolgen, weil die Begriffe und Gesetze der
Theorie ihren Sinn verlieren. Diese Anfangssingularität kennzeichnet den Anfang
der Welt. Alles, was wir jetzt beobachten, ist vor 10 bis 20 Milliarden Jahren
in einer Urexplosion entstanden, die von unendlicher Dichte, Temperatur und
unendlich grossem Anfangsschwung war. Kurz nach diesem als Urknall bezeichneten
Ereignis können wir versuchen, die Welt mit der uns bekannten Physik zu
beschreiben, und die zeitliche Abfolge verschiedener physikalisch
unterschiedlicher Phasen darzustellen (kosmologische Epochen).
Zur quantitativen
Festlegung eines bestimmten kosmologischen Standardmodells benötigt man ausser
der Hubble-Konstanten (bzw. dem dimensionslosen Parameter h = H0 / (100 km s-1Mpc-1)),
die die momentane Expansionsgeschwindigkeit angibt, noch zwei Parameter.
Geeignet sind etwa die Dichteparameter und (kosmologische Konstante) und das Weltalter .
4 Die Hubble-Konstante
H0
Die Hubble-Konstante präzise zu messen ist schwierig, denn alle Galaxien weisen zufällige Eigenbewegungen auf von einigen 100 km s-1, da sie zumeist in grössere Strukturen eingebunden sind, deren Gravitationsfeld ihre Bewegung beeinflusst. Dies wirkt sich besonders für nahe Objekte aus, während bei weit entfernten Galaxien die Expansionsbewegung völlig überwiegt. Bei diesen allerdings sind die Entfernungsbestimmungen sehr ungenau. Dies ist wohl der Grund dafür, dass viele Jahre hindurch die Beobachter in zwei Lager gespalten waren, die jeweils für eine grosse Entfernungsskala (H0 50 km s-1 Mpc-1) oder für eine kleine (H0 100 km s-1 Mpc-1) votierten. Beide Resultate wurden üblicherweise mit sehr kleinen Fehlern angegeben (kleiner als 10 %). Man erwartete, dass die Situation sich entscheidend verbessern würde, wenn durch neue Teleskope, speziell durch das Hubble-Weltraumteleskop, Cepheidensterne (Cepheiden) in Entfernungen von mehr als 20 Mpc beobachtbar würden, z.B. im Virgohaufen. Die Bestimmung von H0 durch die Vermessung des Virgohaufens ist aber wegen der Komplexität dieses Gebildes durch relativ grosse sowohl systematische als auch beobachtungsbedingte Fehler behaftet, so dass diese Methode nicht sehr geeignet dafür ist, präzise Werte für H0 zu erhalten.
Eine andere Methode,
die sehr vielversprechend erscheint und an der in den letzten Jahren aktiv
gearbeitet wurde, nutzt Supernovae vom Typ Ia, um die Sprossen der
Entfernungsleiter zu überspringen und direkt Messpunkte jenseits des
Virgohaufens zu erhalten, bei denen lokale Geschwindigkeitsfelder keine Rolle
mehr spielen. Man versucht im Augenblick eine möglichst gute Eichung dieser
Methode, indem man mit Hilfe von Cepheidensternen die Distanz zu möglichst
vielen Galaxien feststellt, in denen Typ Ia Supernovae registriert wurden. Die
Supernova-Methode ist auch vielversprechend, weil sie theoretisch überzeugend
begründet werden kann. Berücksichtigt man noch eine empirische Beziehung
zwischen der Leuchtkraft im Maximum und dem zeitlichen Verlauf der Lichtkurve,
kann die Hubble-Relation sehr genau bestimmt werden. Es wird sogar vermutet,
dass bei Supernovae hoher Rotverschiebung die Abweichungen vom linearen
Hubble-Gesetz zu sehen sind, wie sie in den FL-Modellen erwartet werden.
Messungen mit dieser Methode führen auf Werte von km s-1 Mpc-1,
wobei den systematischen Fehler abschätzt.
5 Das Weltalter t0
Die ältesten Sterne befinden sich in den Kugelsternhaufen, die dicht gepackt 105 bis 107 Sterne enthalten und die unsere Milchstrasse in einem sphärischen Halo umgeben. Die Altersbestimmung der Kugelsternhaufen ist eine interessante Mischung aus astronomischen Beobachtungen und Anwendungen der Sternentwicklungstheorie (Kugelsternhaufen). Die Unsicherheiten der verwendeten Sternmodelle liegen in der Beschreibung der Konvektion der Gasströmungen im Sterninneren, in den Opazitäten der äusseren Schichten des Sterns und den Anfangsverteilungen der chemischen Elemente. Die konsistente Verwendung neuer Zustandsgleichungen und Opazitäten führt zu einer Reduktion der bisherigen Schätzungen von () Milliarden Jahren auf () Milliarden Jahre. Dieser Wert stellt eine untere Grenze für t0 dar. Zur Ermittlung der Entstehungszeit der ältesten Sterne rechnet man etwa 1 Milliarde Jahre hinzu. Insgesamt ergäbe sich somit ein Weltalter von Jahre.
Für das Produkt ergeben sich damit die Grenzen ; der Mittelwert () ist . In Abb. 3 sind die beschriebenen Kurven in Abhängigkeit von und dargestellt. Für Modelle mit und , die aus theoretischen überlegungen favorisiert werden, ist . Dieses Modell liegt nahe an der unteren Schranke, kann aber gegenwärtig auch noch nicht ausgeschlossen werden.
Aus [6]Abb. 3 ist klar zu ersehen, dass auch
für den Mittelwert noch ein weiterer Bereich von FL-Modellen
möglich ist.
6 W0 und WL
Die mittlere Dichte der Materie, , ist eine wichtige Grösse, aber ihr Wert ist nicht sehr genau bekannt. Die Standardmethode zur Messung von geht aus von einer Zählung leuchtender Objekte. Die grundlegende Annahme ist dabei, dass im gesamten Universum das gleiche Verhältnis M / L aus Masse und Leuchtkraft gilt wie für die vermessenen Objekte. Für das Sternenlicht im Optischen gilt etwa , was einem entspricht. Dies ist natürlich nur eine untere Grenze, denn schon die Rotationsgeschwindigkeiten in den Galaxien zeigen an, dass es eine nichtleuchtende Materiekomponente gibt, die sich viel weiter erstreckt als das sichtbare Licht. Dies führt auf Abschätzungen von und damit . Mit verschiedenen Untersuchungsmethoden in Galaxienhaufen (Virialsatz, Röntgenemission, Gravitationslinsen) erhält man noch höhere -Werte zwischen 100h und 400h. dürfte demnach wohl zwischen 0,1 und 0,3 liegen. Die Fehler in diesen Methoden sind schwer abzuschätzen. Eine vernünftige Wahl ist vielleicht . Vergleicht man diese Resultate mit den Grenzen für die kosmische Materie in baryonischer Form , die man aus den Häufigkeiten der leichten Elemente Helium und Deuterium und deren Vorhersage aus Nukleosyntheserechnungen im Urknall ableitet, , so kann man folgenden Schluss ziehen: Zwar gibt es auch nicht-leuchtende baryonische Materie, überwiegend liegt die dunkle Materie (DM) jedoch in nicht-baryonischer Form vor. Woraus könnte die nicht-baryonische DM bestehen? Mit ihrer kleinen Masse sind Neutrinos offensichtlich Kandidaten. Sie entstanden im frühen Universum ähnlich häufig wie Photonen, und gegenwärtig wird eine Neutrinodichte von einigen 100 pro cm3 geschätzt. Die Registrierung der Sonnenneutrinos im japanischen Experiment Super-Kamiokande erlaubt mit ziemlicher Sicherheit die Deutung, dass Neutrinos eine kleine Masse haben, allerdings wohl zu klein (nur etwa 10-7 der Elektronenmasse), um kosmische Bedeutung zu erlangen. Für Strukturbildung im Kosmos können die Neutrinos ebenfalls nicht allein verantwortlich sein, denn sie können nicht im Halo von Galaxien eingefangen sein. Deshalb gibt es Vorschläge, die Halos der Galaxien aus schweren, schwach wechselwirkenden Teilchen aufzubauen. Kondensate aus Axionen, leichte, supersymmetrische Teilchen (Supersymmetrie) oder auch hypothetische Bindungszustände aus Gluonen existieren als theoretische Möglichkeiten, aber noch keiner dieser Kandidaten wurde experimentell gefunden.
Allein die Statistik der Gravitationslinsen gibt bis jetzt neben den Supernova-Beobachtungen eine Grenze für :
7 Die Bildung leichter Atomkerne
Wenn die Temperatur
der Urmaterie knapp unter hundert Millionen Grad liegt, also etwa 10-4
Sekunden nach dem Urknall (dies ergibt sich, wenn man von der jetzt
herrschenden Temperatur von 3 K ausgehend 15 Milliarden Jahre zurückrechnet),
können wir noch gesicherte kernphysikalische Kenntnisse anwenden. Zu dieser
Zeit hatten sich Protonen und Neutronen gebildet. Ungefähr 10 Sekunden später
war die Temperatur so weit gefallen, dass auch Elektronen als stabile Teilchen
existieren konnten. Anschliessend wurden für einige Minuten verschiedene leichte
Atomkerne gebildet, jedoch durch die Strahlung sofort wieder zerstört. Erst
nach weiterer Abkühlung konnten die Elemente Deuterium und Helium überdauern,
und es bildeten sich Helium- und Wasserstoffkerne (= Protonen) etwa im
Verhältnis eins zu zehn. Das ist die heutzutage beobachtete Verteilung dieser
Elemente. Alle schweren Elemente können in ausreichendem Masse in Sternen
produziert werden, nur die leichten Elemente Deuterium und Helium nicht. Es ist
sehr ermutigend, dass die kosmologischen Standardmodelle das quantitativ richtige
Ergebnis liefern.
8 Strukturbildung
Die kosmologischen Urknall-Modelle haben sich hervorragend bewährt und für die kosmische Entwicklung etwa 1 Sekunde nach dem Urknall bis jetzt eine konsistente Beschreibung des Universums ermöglicht. Das Hauptproblem der Standardmodelle ist augenblicklich die Strukturentstehung in der kosmischen Materie: Was ist die Natur der Dunklen Materie? Wie sind die anfänglichen Schwankungen der Dichte entstanden? An diesen Fragen wird intensiv gearbeitet. Es könnte gut sein, dass eine endgültige Antwort nur in einer genauen Analyse von Quantenprozessen im frühesten Universum gefunden werden kann. Dies hängt mit dem grundsätzlichen, ungelösten Problem zusammen, eine umfassende Theorie zu finden, die als Grenzfälle sowohl die Quantentheorie wie auch die Allgemeine Relativitätstheorie enthält. Die frühesten Epochen des Universums und sein singulärer Anfang können wohl nur im Rahmen einer derartigen Theorie untersucht werden (Urknall).
Falls Galaxien der Hubbleschen Beziehung folgen, kann ihre Entfernung aus der Messung der Rotverschiebung erschlossen werden. Durch die Vermessung vieler Galaxien lässt sich so ein Bild von der räumlichen Verteilung der kosmischen Materie auf grossen Skalen gewinnen. Grosse Rotverschiebungskataloge, die in den letzten Jahren erstellt wurden und die einige 10 000 Galaxien enthalten, enthüllen eine Vielfalt interessanter Strukturen. Die Galaxien sind in Filamenten und dünnen Schichten konzentriert, die grosse nahezu kugelförmige Leerräume (»voids« mit typischen Dimensionen von 20 bis 50 Mpc) umschliessen. Diese für das Auge klar erkennbare Zellstruktur konnte bis jetzt noch nicht quantitativ durch geeignete statistische Grössen erfasst werden.
Die modernen kosmologischen Theorien gehen davon aus, dass diese Strukturen sich aus anfänglich kleinen Schwankungen einer gleichförmigen Hintergrunddichte entwickelt haben, allein durch die Wirkung der Schwerkraft. Der Dichtekontrast (: gleichförmige Hintergrunddichte), wächst wegen der kosmischen Expansion, die das normale, exponentielle Anwachsen der Gravitationsintabilität aufzehrt, wie eine Potenz der Zeit an: , oder äquivalent , im Modell mit .
In baryonischer Materie kann der Dichtekontrast erst nach der Rekombinationszeit anwachsen, wenn Strahlung und Materie entkoppelt sind. Dies begrenzt den Anwachsfaktor auf (zR: Rotverschiebung der Rekombinationsepoche) für .
Für ist die Anwachsrate kleiner. Auch die Tatsache, dass die ersten Galaxien bereits bei z = 5,6 entdeckt wurden, deutet darauf hin, dass der realistische Anwachsfaktor deutlich kleiner als (1 + zR) sein dürfte. Die Anfangsamplitude wird aber im plausiblen Fall konstanter Entropie begrenzt durch die COBE-Messungen der Strahlungsanisotropie
Dann wäre bis heute nur auf etwa 5 × 10-2 angewachsen, d.h. Galaxien und Galaxienhaufen hätten sich noch nicht bilden können. Die Anisotropien im Mikrowellen-Hintergrund schliessen also ein Universum mit rein baryonischer Materie aus. Darin könnten sich die beobachteten Strukturen nicht bilden. Deshalb postuliert man die Existenz dunkler, nichtbaryonischer Materie (DM), was ja auch durch die Messungen der Dichte nahegelegt wird.
Dichtefluktuationen der Materie wachsen an, sobald die Materiedichte die Energiedichte der Strahlung überwiegt. Zusätzlich vorhandene DM verlegt diesen Zeitpunkt zu höheren Rotverschiebungen (etwa um den Faktor 10), gibt also den Dichteschwankungen mehr Zeit zum Anwachsen. Nichtbaryonische DM koppelt ausserdem nicht direkt an das Strahlungsfeld. Deshalb erscheinen ihre Schwankungen im Mikrowellen-Hintergrund nur aufgrund des tieferen Gravitationspotentials, das die Photonen durchlaufen müssen. Dies sind zwei entscheidende Vorteile der nichtbaryonischen DM. Nach der Rekombination fallen die Baryonen ins Schwerepotential der DM und bilden schliesslich Galaxien und erste Sterne.
Jedes theoretische Modell der Strukturbildung erfordert eine Reihe von Zutaten: Die Amplituden und das Spektrum der anfänglichen Dichteschwankungen sowie die Zusammensetzung der DM sind nötig, um ein Modell festzulegen, dessen Entwicklung numerisch verfolgt werden kann. Zusätzlich müssen natürlich die Parameter des kosmologischen Modells eingegeben werden. Die numerischen Simulationen sind eigentlich nichts weiter als die Integration der Newtonschen Bewegungsgleichungen (Newtonsche Mechanik) für N Teilchen, die nur durch die Gravitation in Wechselwirkung stehen. Im Augenblick kann man die Entwicklung von 107 Teilchen im Simulationsvolumen verfolgen, bis zur Entstehung stark geklumpter Dichtekonzentrationen. Dies entspricht i.a. einer Auflösung bis zur Massenskala von Galaxien. Allerdings wird nur die DM auf diese Weise verfolgt, die Kondensation der Baryonen sowie die physikalischen Heizungs- und Kühlungsprozesse bei der Galaxienbildung sind noch nicht in diese Rechnungen integriert.
Der Vergleich der DM
Modelle mit der beobachteten Galaxienverteilung zeigt, dass die
»Pseudo-Galaxien« der Modelle die Maxima
der Dichteverteilung etwas anders
verteilt sind als die »echten« Galaxien. Man muss einen »bias«-Faktor einführen,
um die DM-Modelle mit den Beobachtungen in Einklang bringen zu können. Letzten
Endes kann es natürlich nur ein korrektes Modell der Strukturbildung geben, da
die kosmischen Parameter, ebenso wie der Anteil und die Art der DM, aus Beobachtungen
bestimmt werden sollten. Das Anfangsspektrum der Dichtestörungen und der
»bias«-Faktor sollten aus physikalischen Prozessen im frühen Universum, bzw.
bei der Galaxienbildung, berechenbar sein.
Literatur:
G. Börner: The Early Universe, dritte Auflage, Springer, 1993.
J.A. Peacock: Cosmological Physics, Cambridge UP, 1999.
Kosmologie 1: Spektrum der kosmischen Mikrowellenstrahlung, vermessen vom NASA-Satelliten COBE. Die Kästchen sind die Messungen mit ihren Fehlern, die durchgezogene Kurve entspricht einem Planck-Spektrum der Temperatur T = 2,73 K. Aufgetragen ist die Intensität gegen die Wellenzahl.
Kosmologie 2: Expansionsfaktor als Funktion der kosmischen Zeit t. kennzeichet -Kurven mit ; die Kurve mit illustriert den Einfluss einer positiven kosmologischen Konstanten.
Kosmologie 3: Linien konstanter Werte von in Abhängigkeit von und .
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