Oberflächen- und Grenzflächenphysik
Unter Heterostrukturen
oder Halbleiterheterostrukturen versteht man monokristallin aufeinander
gewachsene Schichten von Halbleitern unterschiedlicher Zusammensetzung ([1]Abb. 1). Solche Schichtstrukturen
zeigen eine Fülle von interessanten und technisch relevanten
Quantisierungseffekten bezüglich ihrer elektronischen und optischen
Eigenschaften und stellen eine wichtige
Basis für die Herstellung neuartiger mikroelektronischer Bauelemente
dar. Die wichtigste Materialkombination für die Herstellung von
Halbleiterheterostrukturen ist das System GaAs/AlGaAs.
Herstellung
Halbleiterheterostrukturen
sind thermodynamisch im allgemeinen nicht stabil (Verzicht auf
Mischungsentropie!) und müssen deshalb mit speziellen Epitaxieverfahren (Epitaxie)
hergestellt werden, die ausserhalb des thermodynamischen Gleichgewichts
arbeiten. Die wichtigsten derartigen Verfahren sind die Molekularstrahlepitaxie
(MBE), die chemische Gasphasenabscheidung (CVD) und die Flüssigphasenepitaxie
(LPE).
Eigenschaften
Die wohl
interessanteste Eigenschaft von Halbleiterheterostrukturen ist die Ausbildung
von Quantenfilmen an Grenzflächen verschiedener Materialien. Diese entstehen
auf Grund der unterschiedlichen Energieverhältnisse in den beiden Materialien
und weil die Fermi-Energie der Ladunsgträger in allen miteinander in Kontakt
befindlichen Materialien den gleichen Wert besitzen muss ([2]Abb. 2). Die so vorgegebene
Energieverteilung hat zur Folge, dass sich Ladungsträger aus der Umgebung
(»Barriere«) im Quantenfilm sammeln.
Dort sind sie dann in
ihrer Bewegunsgfreiheit weitgehend auf die Schicht eingeschränkt und bilden ein
zweidimensionales Elektronengas (2DEG) bzw. ein 2D-Löchergas. Die Einschränkung
der Ladungsträgerbewegung auf zwei Dimensionen kommt dadurch zustande, dass sich
die Elektronen senkrecht zur Schicht in einem Potentialtopf befinden, in dem
ihnen nur bestimmte quantisierte Energiezustände zur Verfügung stehen ([3]Abb. 3). Die Bewegungsfreiheit der
Elektronen in der Schicht wird durch diese Quantisierung nicht beeinträchtigt
(Separation der Wellenfunktionen).
Im Gegensatz zum dreidimensionalen Fall ist die Zustandsdichte der Elektronen in Abhängigkeit von ihrer Bewegungsenergie (Dispersionsrelation) innerhalb des 2DEGs konstant. Wenn man ein 2DEG in ein Magnetfeld bringt, so bewirkt die Magnetfeldkomponente senkrecht zur Schicht eine weitere Quantisierung der Elektronenbewegung (Landau-Niveaus), die im halbklassischen Bild einer Festlegung der Elektronen auf Zyklotronbahnen entspricht. Durch diese Quantisierung kommt es zur Verteilung der Elektronenenergien auf einige wenige diskrete Werte mit makroskopischen Besetzungszahlen. Dies hat unter anderem besonders ausgeprägte Magnetowiderstandserscheinungen beim Quanten-Hall-Effekt und beim Schubnikow-de Haas-Effekt zur Folge. Die hohen Elektronenbeweglichkeiten in 2DEGs in Halbleiterheterostrukturen erlauben nicht nur die besonders gute Beobachtung von derartigen Quantisierungseffekten, sondern sind auch eine wichtige Voraussetzung für die Herstellung von besonders schnellen Halbleiterbauelementen für Höchstfrequenzanwendungen (z.B. High Electron Mobility Transistor, HEMT).
In
Halbleiterheterostrukturen mit vielen periodisch angeordneten Schichten, den
sogenannten Übergittern ([4]Abb. 1), entstehen noch weitere
Quantisierungserscheinungen: Soweit die Schichtperiode in der Grössenordung der
Elektronen-Wellenlänge liegt, kommt es in Wachstumsrichtung (also senkrecht zu
den Schichten) zur Ausbildung einer speziellen Energieniveau-Struktur der
Elektronen, den sog. Minibändern. Bei dickeren Schichten im Bereich von
typischen Lichtwellenlängen verhalten sich die Schichten als
wellenlängenselektive Spiegel (»Bragg-Spiegel«) mit einem sehr hohen
Reflexionsvermögen im Resonanzfall ([5]Abb.
4).
Anwendungen
Die im vorangehenden
Abschnitt vorgestellten Eigenschaften von Heterostrukturen werden vielfach
bereits technisch genutzt oder bilden zur Zeit die Grundlage für das Design
neuer Halbleiterbauelemente. Die Quantisierung der Elektronenenergie in
Quantenfilmen erlaubt beispielsweise die Steigerung des Wirkungsgrads von
Leuchtdioden und Halbleiterlasern, die Bragg-Spiegel bilden z.B. die
Funktionsgrundlage des Vertical Cavity Surface Emitting Lasers (VCSEL, [6]Abb. 4).
Weitere Effekte mit
interessanten Anwendungsmöglichkeiten für Halbleiterheterostrukturen ergeben
sich durch die Möglichkeiten zur lateralen Mikrostrukturierung solcher Systeme
(beziehungsweise des in ihnen enthaltenen 2D Elektronengases). Diese ist unter
anderem durch verschiedene Ätzverfahren (z.B. Plasma-Ätzen oder nasschemische
Verfahren), durch Ionenimplantation und durch das Aufbringen von sogenannten
»Gate«-Elektroden möglich. Auf diese Weise kann das in der Grenzfäche
enthaltene Elektronensystem noch weiter auf eine Dimension (»Quantendraht«)
oder gar auf ein kleines, in alle Raumrichtungen beschränktes Volumen
(»Quantenpunkt«) eingeschränkt werden. Dadurch kommt es dann zu zusätzlichen
Quantisierungserscheinungen (z.B. [7]Abb. 5), die eine Veränderung der
Zustandsdichten bewirken und wiederum auch für die Realisierung neuartiger
elektronischer und optoelektronischer Bauelemente genutzt werden können,
beispielsweise für sogenannte
Einzelelektrontransistoren ([8]Abb.
6: Aufbau und »Kennlinie«), bei denen das Zusammenspiel von
Quantisierunsgeffekten und elektrischer Abstossung zwischen den Elektronen
ausgenutzt wird. Derzeit funktionieren diese Einzelelektronenbauelemente aber
nur bei tiefen Temperaturen. Für einen Einsatz bei Raumtemperatur müssen die
Strukturen noch weiter verkleinert werden, dann erst wird die Energie der Coulomb-Blockade
so gross, dass die Elektronen sie nicht mehr durch das thermische Rauschen
überwinden können.
Perspektiven
Überwachsen vorstrukturierter Substrate
Die
Wachstumsgeschwindigkeit von Schichten in der MBE ist für verschiedene
Kristallrichtungen verschieden gross. Dieser Sachverhalt kann zur Herstellung
von lateral strukturierten Quantenfilmen besonders hoher Qualität genutzt
werden, für deren Herstellung man von einem bereits zuvor strukturierten
Substrat ausgeht ([9]Abb. 7).
Selbstordnende Quantenpunkte
Bei der Epitaxie von
stark verspannten Heterostrukturen kommt es beim Überschreiten bestimmter
kritischer Lagendicken zur Bildung von Clustern (Stranski-Krastanov-Wachstum).
Unter günstigen Umständen ergeben sich dabei selbstordnende Quantenpunkte von fast
gleicher Grösse ([10]Abb. 8). Diese eröffnen neue
Möglichkeiten vor allem zur Herstellung von optoelektronischen Bauelementen.
Auf dieser Basis hergestellte Halbleiterlaser könnten noch höhere Wirkungsgrade
aufweisen wie die derzeit verfügbaren.
Neue Materialsysteme
Die Herstellung von
Halbleiterheterostrukturen guter Qualität erfordert für jede einzelne
Materialkombination besondere Forschungs- und Optimierungsanstrengungen, die um
so schwieriger werden, je grösser die Gitterfehlanpassung zwischen den beteiligten
Materialien ist, und bei verschiedenen Gleichgewichtskristallstrukturen noch
zusätzlich erschwert werden. Gerade solche Materialsysteme sind jedoch heute
von ganz besonderem Interesse:
· Heterostrukturen aus GaAs und
Phosphiden bzw. InP und Arseniden; solche Materialien werden vor allem für neue
optoelektronische und nachrichtentechnische Bauelemente untersucht.
· Heterostruktruren aus Legierungen
von Si, Ge und C.
· Heterostrukturen aus GaN und
anderen Nitriden; diese Materialien sind
zur Zeit vor allem für Leuchtdioden im blauen Spektralbereich von
Interesse; sie kristallisieren jedoch im Gegensatz zu den meisten anderen
technisch genutzten Halbleitern im hexagonalen System und haben ausserdem eine
deutlich kleinere Gitterkonstante als die anderen III-V-Halbleiter.
· II-VI-Halbleiter, vor allem
Materialien auf ZnSe-Basis. Diese Materialklasse stellt einen zweiten Zugang
zur Herstellung von guten »blauen« Optobauelementen dar. Ein zusätzliches
Problem bei dieser Materialklasse ist die hohe Giftigkeit einiger Ausgangsstoffe
(Be, Cd, Se).
Schliesslich sei noch angemerkt, dass in den letzten Jahren auch definierte Heterostrukturen aus metallischen Materialien immer grössere Bedeutung erlangt haben, vor allem auch auf Grund ihrer ungewöhnlichen Magnetowiderstandseigenschaften (Riesenmagnetowiderstand). Die Schichtdicken, ab denen Quantisierungseffekte auftreten, sind hier oft noch kleiner als bei den Halbleitern und betragen nur wenige Atomlagen.
Literatur:
M. Jaros: Physics
and applications of semiconductor microstructures, Oxford:Clarendon, 1989.
T. Ando, A.B. Fowler, F. Stern, Reviews of Modern Physics 54 437, 1982.
M.J. Kelly, Low-Dimensional Semiconductors - Materials, Physics, Technology,
Devices, Oxford: Clarendon, 1995.
Heterostrukturen 1: Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme einer Halbleiterheterostruktur (abwechselnde Schichten von GaAs und AlAs). Man erkennt die Fortsetzung des Kristallgitters über die Materialgrenzen hinweg. Eine Folge mit vielen periodisch angeordneten Schichten unterschiedlicher Halbleitermaterialien wird auch als Übergitter bezeichnet.
Heterostrukturen 2: Potentialverlauf mit Quantenfilm in einer Halbleiter-Heterostruktur
Heterostrukturen 3: Zulässige Energieniveaus (mit angedeuteter Wellenfunktion senkrecht zur Schicht im Grundzustand) der Bewegung senkrecht zur Schicht in einem Quantenfilm. Der hier unterstellte kastenförmige Potentialverlauf entspricht den Verhältnissen in einer sogenannten Doppelheterostruktur, bei der der Quantenfilm zwischen zwei Barrieren mit höherer Bandlücke eingegrenzt ist.
Heterostrukturen 4: Schichtaufbau eines Oberflächenemittierenden Halbleiterlasers. Die Spiegel des Resonators sind als Bragg-Spiegel wirkende Halbleiterübergitter.
Heterostrukturen 5: Ein Quantenpunkt stellt die Realisierung eines dreidimensionalen Potentialtopfs für Ladungsträger dar. Diesen stehen deshalb nur einzelne, diskrete Energieniveaus zur Verfügung.
Heterostrukturen 6: Durch »Gate«-Elektroden definierter Quantenpunkt (a) und Leitfähigkeitsverhalten (b) in Abhängigkeit der Steuerspannung. Die breiten Leitfähigkeitsminima sind eine Folge der Coulomb-Blockade.
Heterostrukturen 7: Beim Aufwachsen eines Quantenfilms auf eine trapezförmig vorstrukturierte Schwelle kommt es durch die unterschiedlichenWachstumsgeschwindigkeit des Kristalls »oben« und an den »Hängen« des Trapezes zur Ausbildung eines Quantendrahts ohne ätzbedingte Randeffekte und mit kleinerer Breite als die ursprüngliche Trapezstruktur.
Heterostrukturen 8: Kraftmikroskopische Aufnahme von selbstordnenden Quantenpunkten aus Ge auf einem Si-Substrat.
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